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Bremen kauft Sonne

■ Otto Piene rekonstruiert eine Dia–Performance von 1967. Ein Dankeschön für den Ankauf seines großen Lichtballetts durch den Bremer Kunstverein

Draußen, vor der Kunsthalle, flakert Nam June Paiks Videoturm fröhlich wie ein verfrühter Christbaum den anbrechenden Abend an. Tausendmal effektvoller aber blinken drinnen in der großen Halle Otto Pienes Diabilder.

Ein Fest für Feinde des digitalen Zeitalters: Die guten, alten Diaprojektoren bringen eben doch mehr Effekt als High-tech-Rambazamba. Mit allereinfachsten Mitteln wurden seltsame Dinge, die aussehen wie mikroskopische Geißeltierchen, zersprungene Glasscheiben, braune Wolken, wild verzweigte Flußdeltas, Sonnensysteme, faltige Wolltücher, Tierfelle oder Sandböden, durch fünf oder sechs Projektoren an drei Wände gepfeffert. Makrokosmisches und Mikrokosmisches wechselt im Sekundentakt. Dabei sind all die Wunder nur eine Sache der Chemie: Wenn nämlich öl-, benzol- und wasserlösliche Glasfarben aufeinanderprallen, dann führt der Krieg der unterschiedlichen Bindemittel zu spannenden chaostheoretischen Frontverläufen. Wenn sich ein Farbtropfen aber frei und einsam auf einem Diaglas ausbreiten darf, dann wird daraus eine Sonne, rot, gelb, blau, grün oder schwarz. „Die Sonne kommt näher“ (The proliferation of the sun) heißt Pienes 30minütige Performance pathetisch.

Viele seiner Raster- und Rauchbilder der 50er und 60er Jahre, aber auch die aktuellen Gemälde heißen „o.T“. Wenn dann aber doch mal ein Titel lockt, dann gleich erzromantisch: „The beautiful sky“, „Feather Flower Fire“ oder „Orbit“. Nicht zufällig war Piene mit einer großen Lichtarbeit in der grandiosen Münchner Ausstellung von 1992 „Geist der Romantik durch zwei Jahrhunderte“ vertreten. Anheimelnde Sachen wie Fantasieblumen, Regenbögen (zur Eröffnungs- und Abschlußfeier der Münchner Olympiade 1972) und Planeten ziehen sich durch das Werk. Nur manchmal haben Stiere, Hennen und Menschen Platz im Idyll. Das hat einen Grund: Programm der legendären Künstlergruppe ZERO (1957 mit Heinz Mack in Düsseldorf gegründet; Nagelbildner Günther Uecker stieß später dazu) war nichts weniger als die Welt zu verändern. Das sollte nicht über Inhalte geschehen, sondern über Klarheit, Reinheit und Virilität der Ästhetik. Man teilte den Glauben des Bauhauses an die sittliche Kraft der Form. Die schrieb man allerdings weniger dem rechten Winkel zu, sondern der flirrenden Ruhe enger Raster, der Leere und dem Licht. ZERO suchte nach „Situationen der Stille“, sagte Wulf Herzogenrath, die Performance einleitend – und „Rumps“ tat es, weil ein aufblasbarer Plastiksitzschlauch unter dem Gewicht der Zuschauer platzte. Die abgeworfenen Menschen kugelten herum und lachten: Die Wirklichkeit hatte eben immer das letzte Wort – und das lautet „rumps“.

Die Sonnen-Performance wurde bereits etwa zwanzigmal aufgeführt. Das war 1967 im New Yorker Black Gate Theater, einem klassischen Szene-Veranstaltungsort für Undergroundfilme und ähnliches. Damals mußten die Besucher nicht Plastikbänke plattdrücken, sondern durften auf Styroporboden liegend ruhen.

Aber noch dieselbe Stimme gibt den Diavorführern aus dem Off Anweisungen mit der kühlen Professionalität eines Raketencountdowns der NASA. Wenn die ganze Farbpalette von Rot und Gelb über ein zenbuddhistisch-trauertaliges Grau zu Grün, Blau und Bunt durch ist, wenn die Bildfrequenz beschleunigt ist, wenn es auf der Netzhaut nur noch flirrt, dann schwärmt diese bürokratenenglische Stimme: „White out – Right out – White out – Right out...“ Die Leere ist das Ziel. Um das zu erreichen rackerte Piene über 20 Jahre beim CAVs (Center for Advanced Visual Studies) innerhalb des MIT (Massachusetts Institute of Technology). Als dessen Direktor (1974-94) war Piene maßgeblich an der Entwicklung von Multimedia beteiligt. Die Ehe zwischen Kunst und Technik beförderte er ähnlich wie Pierre Boulez beim IRCAM.

Die knapp 500 Sonnen-Dias sind ein Geschenk Pienes an die Kunsthalle, genauer: eine Art Mengenrabatt. Pienes großes Licht-Schatten-Spiel im Obergeschoß der Kunsthalle war bislang eine Leihgabe des Künstlers. Kürzlich hat der Kunstverein sie käuflich erworben. Dias plus Show gab's als Dreingabe. bk

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