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Soziale Unsicherheit als Freibrief

Die DDR hatte mit Einwanderung nichts am Cordhütchen. „Sozialistische“ DDR-Verklärung heute läßt dies außer acht. Auch in sich als links bezeichnenden Kreisen führt die ostdeutsche Identitätshuberei zu Fremdenfeindlichkeit und letztlich zu Rassismus  ■ Von Ivo Bozic

„Unser deutsches Land in Arbeiter- und Bauernhand!“ Drei Sprüche, drei Transparente – getragen am 19. September in Rostock – von jungen Neonazis der NPD. Die militante Nazipartei ist auf dem Weg zum Nationalbolschewismus. Sie bezieht sich positiv auf die DDR („der bessere deutsche Staat“) und solidarisiert sich sogar zuweilen mit Fidel Castros Kuba. Die Neonazis müssen dafür keine große Richtungsänderung vornehmen. Sich positiv auf die DDR zu beziehen fällt ihnen leicht: Der Staat war – wie sie es lieben – autoritär organisiert, kulturell reglementiert und fast völlig ausländerfrei. Auch haben die Neonazis begriffen, daß die auf DDR-Verklärung beruhende Ostalgie eine deutsche Identität formen hilft, die gegen „das Fremde“, also auch gegen „die Fremden“, mobilisierbar ist.

Roland Wehl, Autor der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit, stellte fest: „Vieles von dem, was in der DDR ,links‘ war, gilt im vereinten Deutschland als ,rechts‘.“ Wie zum Beweis durfte er diesen Satz aus einem Artikel, der für eine Zuwendung der Linken zur nationalen Frage warb, nicht nur am 27. März in der Jungen Freiheit, sondern auch vier Monate später in der PDS-nahen Tageszeitung Neues Deutschland zu Protokoll geben.

Keine zwei Wochen vorher hatte der Parteivorstand der PDS noch eine „Erklärung gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ verabschiedet, in der „jede Zusammenarbeit mit fremdenfeindlichen und rassistischen Kräften“ entschieden abgelehnt und gefordert wird, „jeder – auch indirekten – Duldung rassistischer Politik entgegenzutreten“. Doch wer nach dem Abdruck des nationalistischen Pamphlets im ND mit einem Aufschrei der Empörung rechnete, wurde enttäuscht. Ein paar PDS-Promis verurteilten zwar die Veröffentlichung des Textes, die Sprecherin der AG Junge GenossInnen, Angela Marquardt, kündigte – in der PDS ein Sakrileg – gar ihr ND-Abo, ansonsten aber, resümierte ND-Chefkommentator Frank Wehner zufrieden, ließen sich 95 Prozent aller Leserbriefschreiber „mit Lust und Ernst“ auf das Thema ein. Und in der Redaktion blieb man gelassen: Schließlich schrieb ein ND-Redakteur auch schon in der nationalrevolutionären Zeitung wir selbst.

Linke nehmen sich „mit Lust“ der nationalen Frage an, Nazis propagieren den Sozialismus, Rechtsextreme schreiben in linken Zeitungen, linke in rechten, ja, ist denn die ganze Welt verrückt? Nein, Wehl hatte einfach recht: Wer als linkes Weltbild eine möglichst genaue Nachbildung der DDR im Kopf hat, der ist heutzutage vor allem ein Rechter.

In der PDS gibt es zwei Fraktionen, die dem Spießersozialismus, bei dem die Brötchen aber nur fünf Pfennig kosteten, nachtrauern: die Kommunistische Plattform (KPF) und den Ostrowski-Flügel. Die Dresdner Stadtvorsitzende Cristine Ostrowski hatte sich 1992 mit einem Führer der später verbotenen Nationalen Offensive getroffen und anschließend erklärt: „Unsere sozialen Forderungen stimmen im Grunde überein – bis hin zum Wortlaut.“ 1998 erklärte Ostrowski, die PDS müsse zur „Stimme des Protestes“ auch ausländerfeindliche Bauarbeiter machen. Die Bundestagsabgeordnete wünscht sich die PDS als regionale Volkspartei „nach dem Vorbild der CSU“, in der rechts und links kein Thema mehr sein sollen. Ost- Identität als gemeinsamer Nenner.

Die KPF, die sich eigentlich als linker Flügel der PDS versteht, ist überraschenderweise gar nicht weit von diesen Positionen entfernt. Sie propagiert einen Sozialismus ohne Emanzipation. Ihr Angriffspunkt in dieser Gesellschaft ist einzig der Sozialabbau, die sogenannte soziale Frage. Rechte Werte wie Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Militarismus – das ganze autoritäre Programm wird von ihr nicht thematisiert. Es kann von ihr auch gar nicht thematisiert werden, weil dies alles auch Werte beziehungsweise Realitäten der DDR-Gesellschaft waren.

Als die Gollwitzer Dorfbevölkerung sich 1997 gegen den Zuzug von fünfzig jüdischen Spätaussiedlern wehrte und dabei mit rassistischen und antisemitischen Sprüchen schockte, stellten sich die KPF und die ihr nahestehende Tageszeitung junge Welt demonstrativ hinter die Gollwitzer „Krisenopfer“. Nicht Rassismus sei zu fürchten, sondern die soziale Benachteiligung der ehemaligen DDR-Bevölkerung. KPF-Sprecherin Ellen Brombacher skizzierte dabei die Gesellschaft als Hühnerhof, bei dem auf der sozialen Hühnerleiter ein Huhn auf das rangniedrigere einhacke. Da die Ostdeutschen, in diesem Fall speziell die Gollwitzer, auf der vorletzten Sprosse stünden, dürfe man sich nicht wundern, wenn sie auf die einzige Bevölkerungsgruppe einhackten, die sich darunter befinde – offenbar die jüdischen Ausländer.

Kritikern des autoritären Sozialismusbildes, das hinter der DDR- Verklärung steckt, werfen die Ost- Kommunisten gerne vor, den Totalitarismus-Diskurs zu nähren. Ein Vorwurf, der auf sie selbst zurückfällt. Nicht wer die DDR als autoritär kritisiert, sondern wer die autoritäre DDR verklärt, gibt dem Totalitarismus-Diskurs Nahrung. Soziale Gerechtigkeit allein macht eben noch keine emanzipierte Gesellschaft. Einer, auf den es die Cordhütchensozialisten von der Plattform besonders abgesehen haben, ist der Brandenburger Rechtsextremismusforscher Bernd Wagner. In einer aktuellen Studie kam er zu dem einleuchtenden Ergebnis, daß die hohe Akzeptanz rechtsextremer Positionen im Osten Deutschlands ihre Wurzeln in der autoritären Prägung der DDR habe.

Gegen diese Thesen wetterten Brombacher und zwei ihrer Genossen in der jungen Welt und in den Mitteilungen der KPF. Schuld sei im Gegenteil das Zusammenbrechen des „menschlichen“ und „antifaschistischen“ DDR-Wertemodells mit dem Mauerfall. Allem habe man abschwören müssen, ein „Kulturschock“ sei das gewesen, eine „ungekannte kulturelle und moralische Verelendung“. In dieser orientierungslosen Phase hätten die Nazis aus dem Westen „ihre Kader schnurstracks in den Osten befördert“. Plötzlich hätten nur noch „Geld und Stärke“ gezählt, AusländerInnen seien dabei zu Sündenböcken gemacht worden. Die „Wirksamkeit der Nazis unter jungen Leuten“ sei „maßgeblich“ auf die „soziale Misere“ zurückzuführen.

Kein Wort über Gehorsam und Katzbuckelei in der DDR, kein Wort über Denunziantentum und Parteiallmacht, über Militarismus, deutschem Nationalstolz und Arbeitsfetischismus und schon gar nicht über die rassistische Ausländerpolitik der SED, die Einwanderung nie vorsah und die DDR zu einer „national befreiten Zone“ gemacht hat. Wer über all das nicht reden will, kann nur noch über die soziale Situation reden, die natürlich in der DDR gerechter und angstfreier war als in den kapitalistischen Staaten. Über das Soziale reden heißt aber für Kommunisten, über den Klassenkampf zu reden. Also muß eine Klasse her, oder ersatzweise eine Wir-Identität, die gegen den bösen Kapitalisten aus dem Westen rekrutierbar ist. Rechte und nominal linke Ostalgiker, die es nicht nur in der PDS gibt, konstruieren eine Ost- Identität, eine ostdeutsche Volksgemeinschaft. Feindbild ist der Kapitalist, der kein Ostler sein kann, sondern ein Westler, vielleicht auch ein Vertreter des „transnationalen Kapitals“ oder eben auch ein ausländischer Bauarbeiter – auf jeden Fall aber ein Fremder, eben keiner „von uns“.

Wolfgang Richter, Vorsitzender des Kuratoriums Ostdeutscher Verbände, spricht inzwischen ungehemmt von „Kolonialisierung“. Wie man mit den Ostdeutschen umgehe, sei im Grunde „Apartheidpolitik“. Selbst libertäre Kreise sind für diese Ost-Mythologisierung anfällig. In der ehemaligen DDR-„Oppositionszeitung“ telegraph war im April dieses Jahres ebenfalls von „Kolonisierung“ die Rede. Als besonders gelungen wurde folgender Witz charakterisiert: „Wann ist die deutsche Einheit vollendet? Wenn der letzte Ossi aus dem Grundbuch gestrichen ist.“ Bei diesem „Witz“ geht es nicht darum, daß der Westler ein böser Kapitalist ist und deshalb hassenswert. Hier wird die pure Angst des „Ossis“ vor der Überfremdung unterstützt. Fremdheit wird nicht in einem Unterdrückungsverhältnis ausgemacht, sondern in der fehlenden Heimatverbundenheit oder kulturellen Unterschiedlichkeit. Das ist der Boden, auf dem die DVU im quasi ausländerfreien Sachsen-Anhalt ihren rassistischen Wahlkampf führte, auf dem die NPD den deutschen Arbeiter mobilisiert. Ostrowski hat es leider richtig durchschaut: Rechts wie links stimmen in ihren sozialen Forderungen weitgehend überein.

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