: Schwangerschaft aus Scham verschwiegen
■ 15jährige wegen Kindstötung angeklagt. Sie hatte Neugeborenes aus dem zehnten Stock geworfen
Die inneren Qualen und Nöte der 15jährigen Anja T.* lassen sich nur erahnen. Die Hauptschülerin muß sich seit gestern vor dem Landgericht wegen Kindstötung verantworten. Das Mädchen hatte im Feburar dieses Jahres ihren soeben geborenen Sohn aus einem Fenster im zehnten Stock eines Mietshauses in Marzahn geworfen. Der Säugling starb an einem Schädelbruch.
Der Prozeß findet aus Jugendschutzgründen unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. „Die Aufarbeitung des Geschehens ist psychische Schwerstarbeit“, erklärte Verteidigerin Ulrike Zecher gestern. Zu den Beweggründen ihrer Mandantin sagte sie: „Sie hat sich in einer absoluten psychischen Ausnahemsituation befunden.“
In den Presseberichten kurz nach der Tat hatte es geheißen, daß weder die Eltern noch die Freundinnen oder Mitschüler etwas von der Schwangerschaft gewußt hatten. Das Mädchen hatte sich zum Geburtszeitpunkt erst seit einem halben Jahr in der Klasse befunden. Nicht einmal im Sportunterricht war aufgefallen, daß sie in anderen Umständen war. „Es ist unfaßbar, daß wir alle keine Signale wahrgenommen haben, die diese Katastrophe vielleicht ankündigten“, wurde damals die Klassenlehrerin in einer Zeitung zitiert.
Laut Staatsanwaltschaft hatte Anja T. das Kind zwischen 3.00 und 4.00 Uhr nachts im Badezimmer der elterlichen Wohnung geboren. Der Stiefvater und die Mutter schliefen nebenan. Der Säugling sei durchaus lebensfähig gewesen. Nach der Geburt wickelte sie das Kind laut Anklage in ein Handtuch und drückte ihm, als es zu Schreien anfing, solange die Hand auf den Mund, bis es verstummte. Danach warf Anja T. das Kind aus dem Fenster der im zehnten Stock gelegenen Wohnung. Bei der Polizei soll die Schülerin ausgesagt haben, sie habe ihre Schwangerschaft aus Scham verborgen, um ihre Mutter nicht zu enttäuschen. Sie habe dem schreienden Baby den Mund zugehalten, damit es nicht die Eltern wecke. Als das Kind still gewesen sei, sei sie in Panik verfallen, denn sie habe geglaubt, der Säugling sei erstickt. Den Namen des Vaters hatte die 15jährige bei ihren ersten Vernehmungen nicht preisgeben wollen. Zunächst hatte sie ausgesagt, sie sei vergewaltigt worden. Das war aber eine Notlüge, denn das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ist nach Angaben ihrer Anwältin eingestellt worden. Nach der Tat befand sich die 15jährige mehrere Wochen in einer psychiatrischen Klinik. Inzwischen lebt sie wieder bei ihren Eltern und geht auch wieder zur Schule.
Daß Anja T. die ganze Zeit von der Untersuchungshaft verschont geblieben ist, läßt eine milde Strafe erwarten. Mit dem Urteil wird am kommenden Montag gerechnet. Plutonia Plarre
*Name geändert
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