Hoffnung im Reagenzglas

In der Biotechnologiedebatte hat sich die SPD gegen die Grünen durchgesetzt. Dabei ist ihr Hauptargument keineswegs schlagend: Ein Jobwunder wird es nicht geben  ■ Von Beate Willms

Berlin (taz) – Es klingt wie weiland aus dem Munde von Ex-Forschungsminister Jürgen Rüttgers. „Die Biotechnologie ist ein wichtiger High-Tech-Bereich für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, heißt es im SPD-Programm. Und der rot-grüne Koalitionsvertrag sieht die explizite „Förderung zukunftsfähiger Technologien“ vor. Die Bedenken der Grünen, die sich höchstens mit Energie aus Biomasse und in der Gentechnik allerhöchstens auf medizinische Nutzung hatten einlassen wollen, sind irgendwo im allgemeinen Koalitionsgerangel untergegangen. Und der Aufschrei der Basis ist ausgeblieben – der der Öffentlichkeit ohnehin. Denn das Hauptargument der Befürworter, das sich die SPD längst zu eigen gemacht hat, lautet: Neue Technologien sichern und schaffen Arbeitsplätze – wer nicht soweit wie möglich vorne dabei ist, hat den Anschluß verpaßt. Und die Prognosen aus Politik und Wirtschaft sind grandios: Durchschnittlich sechs neue Arbeitsplätze pro Existenzgründung, die sich nach zwei Jahren auf 50 bis 100 erhöhen, hatte Ex-Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers schon versprochen. EU-weit bedeute das bis zum Jahr 2000 bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze. Prognos- und Ifo-Institut kommen immerhin auf 110.000 erwartbare Stellen.

Kritiker bezweifeln jedoch, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt in den Biotechnologien überhaupt zu einem nennenswerten Arbeitsplatzzuwachs führen wird, denn die Schätzungen berücksichtigen Verlagerungen und Abbau von Arbeitsplätzen nicht.

Von den 465 Unternehmen, die die Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), eine Fachgruppe im Verband der Chemischen Industrie, als Biotechfirmen auflistet, sind 23 internationale Konzerne wie die Chemie- und Pharmagrößen BASF, Hoechst, Bayer und Schering, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben. Die 442 anderen zählen zu den start ups, Existenzgründungen der letzten Jahre, die entweder aus Biotechnologiezentren wie München- Martinsried, Hamburg, Berlin, Köln/Düsseldorf, Frankfurt, Heidelberg oder Freiburg kommen oder sich aus einem der großen Unternehmen abgespalten haben.

Seit Risikokapitalfonds auch in Deutschland interessant geworden sind, haben sie gute Chancen, an das nötige Geld zu kommen. Allein in den Bioregionen gibt es mehrjährige Festlegungen über 640 Millionen Mark an Wagniskapital. Denn obwohl die Kreditanstalt für Wiederaufbau prognostiziert, daß jedes fünfte Unternehmen schnell wieder verschwindet, sehen Investoren hier Chancen, schnell Geld zu machen. Spätestens in vier Jahren erwarten sie eine Steigerung des Aktien- oder Unternehmenswertes von mindestens 20 Prozent. Die Zuwachsraten sind realistisch, sagt Horst Domdey, Managing Director bei der Bio M AG in München-Martinsried, zumal die Unternehmen auch noch mit Fördergeldern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der EU und der Länder rechnen können. Rund drei Milliarden Mark fließen jährlich in die Biotechnologie – eine stattliche Summe angesichts der knapp vier Milliarden Mark Umsatz der Branche. „Die Forschung mindestens zu 50 bis 60 Prozent staatsfinanziert“, so Domdey. Das sei weit überproportional. In anderen Wirtschaftsbereichen liegt die Quote bei höchstens 35 Prozent.

In den USA kooperieren Zwerge und Riesen

Dabei macht sogar das große Vorbild USA, das seine Struktur wesentlich weiter entwickelt hat, noch Minus. 1997 standen Einnahmen von 13 Milliarden US-Dollar ganze 17 Milliarden an Ausgaben gegenüber. Trotzdem lag der Marktwert der Unternehmen bei mehr als 50 Milliarden Dollar.

Wenn für die Geldgeber alles gut läuft, gehen die mit Risikokapital finanzierten Newcomer an die Börse oder lassen sich von einem Konzern übernehmen. Dabei gibt es oft von vornherein Kooperationen. Denn während in den kleinen Einheiten sehr viel konzentrierter und effektiver geforscht werden kann, bieten die Riesen Möglichkeiten der klinischen Erprobung, die sich der Zwerg nicht leisten kann.

Allerdings unterstützt diese Art der Arbeitsteilung auch den Trend zur Verschlankung und Rationalisierung in der Branche. Und das widerspricht dem prognostizierten Beschäftigungszuwachs. Laut DIB sind derzeit lediglich etwa 11.000 Frauen und Männer in den reinen Biotechnologieunternehmen beschäftigt, hinzu kommen rund 7.000, die in den biotechnologischen Forschungsabteilungen der Konzerne arbeiten. Domdey schätzt, daß sich die Zahl der Stellen in start ups höchstens verdreifachen wird, während sie in den Mischkonzernen, der Landwirtschaft und der Nahrungsmitteltechnologie ohnehin kaum zu berechnen ist.

Noch pessimistischer sieht Ulrich Dolata, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Bremen, die Beschäftigungswirkung: Die meisten Zahlen beruhten auf Bruttorechnungen, in denen Arbeitsplatzverluste, die durch Rationalisierungs- und Substitutionseffekte ausgelöst würden, nicht berücksichtigt seien und ebensowenig Stellenverlagerungen aus anderen Industriezweigen. „Die neuen biotechnologischen Methoden lösen lediglich andere Methoden in der Pharma-, Agrochemie- und Lebensmittelindustrie ab – und sie bergen dabei erhebliches Substitutionspotential.“ Allerdings müsse man auch hier differenzieren. Im pharmazeutischen, diagnostischen und therapeutischen Bereich seien durchaus Umsatzsteigerungen und letztlich auch mehr Beschäftigung zu erwarten. „Andererseits werden vorhandene Medikamente durch neue ersetzt, und statt herkömmlichem Saatgut gibt es transgenes, und zugleich wird der Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft verringert.“

Wissenschaftler im US-Landwirtschaftsministerium sagen sogar voraus, daß die meisten Nahrungsmittel innerhalb eines Zeitraums von drei Jahrzehnten durch biotechnische Verfahren in den Fabriken hergestellt werden könnten und nicht mehr auf dem Feld angebaut werden müßten. Dadurch würden 90 Prozent der Leute, die heute in der Landwirtschaft tätig sind, überflüssig.