: Böses von Smidt bis Schily
■ Ausstellung über Grundgesetzaufweichungen in der Villa Ichon
Menschen mit fortgeschrittenem Bandscheibenschaden oder hochentwickelter Standfestigkeit lesen am liebsten im Stehen. Für sie ist die „Lese-Ausstellung“ zu „150 Jahre Grundrecht - 50 Jahre Grundgesetz“ ein Genuß. Große, mit soldatesker Regelmäßigkeit aneinandergereihte Tafeln sind nicht nur mit ihrer schwarz-gelben Färbung nicht mehr ganz zeitgemäß eingefärbt seit dem Wahlergebnissen vom 27. 9.. Sie verweigern sich auch jeder museumspädagogischen Zeitgeistigkeit. Recht so. Schließlich geht es um Grundrechte. Und die müssen zeitgeistresistent sein, meinte Jura-Prof U.K. Preuß bei der Ausstellungseröffnung. So erzählen Buchstabenmeere ungetrübt von Layout-Schnickschnack oder Bilderfastfood in Schulbuchmanier von Hungerrevolten, Wartburgfest, nationalistisch-revolutionären Turner-, Sänger- und Studentenverbindungen und den Karlsbader Beschlüssen, von dem so mutigen Friedrich Hecker und einem Bürgertum, das im letzten Moment Muffensausen bekam. Schließlich konnte die im März 1849 in der Frankfurter Paulskirche verkündete Reichsverfassung niemals umgesetzt werden. Und das nicht nur, weil Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV die vom Frankfurter „Professorenparlament“ angebotene Kaiserkrone beleidigt zurückwies.
Die Ausstellung zeigt außerdem wie auch in Bremen die bürgerlich-emanzipatorischen Kräfte mehr vor einem geschickt-taktierenden antidemokratischen Bürgermeister Johann Smidt als vor kruder Gewalt zurückweichen mußten.
Für Klaus Hübotter und die Freunde der Villa Ichon ist dies sanfte Dahinscheiden des allgemeinen Wahlrechts und vieler anderer Grundrechte weniger ein historischer Feiertermin als eine Warnung an alle Verfassungsverweichlicher. So erzählte Preuß denn auch in seiner Rede nichts Geschichtliches, sondern versuchte seinen Freund, Innenminister Otto Schily, zu widerlegen: Der Lauschangriff habe zwar tatsächlich für den einzelnen Bürger keinerlei konkrete Nachteile, zumindest solange er nicht mit Mafiapaten diniert. Doch es käme zu Veränderungen den gesamtgesellschaftlichen Klimas. „Es gibt kein Machtvakuum.“ Wo individuelle Rechte aufgegeben werden, rücken polizeiliche Kräfte an ihre Stelle. bk
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