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Der Hauptstadtsatellit ist gelandet

■ Madame la Ministre de la Culture, Catherine Trautmann, weihte das „Museum für moderne und zeitgenössische Kunst“ in Straßburg ein

„Danke für diese neuen Mauern“, stand in einem Graffito, das vor der Eröffnung des Straßburger „Museums für moderne und zeitgenössische Kunst“ am Wochenende noch schnell abgerubbelt wurde. Bei der Ankunft von Madame la Ministre de la Culture Catherine Trautmann, in Personalunion Ex-Bürgermeisterin der elsässischen Hauptstadt, sollte alles sauber sein. Die blaßrosafarbene Fassade des einzuweihenden neuen Museums inklusive. Was von außen wegen der hochgezogenen Mauern aus bretonischem Marmor wie eine Festung wirkt, ist von innen lichtdurchflutet – und zugleich gigantisch: BesucherInnen kommen in einem 104 Meter langen, 10 Meter breiten und 25 Meter hohen Gang an, dessen oberes Drittel und Dach komplett verglast sind. Wenn sie ihren Rundgang durch das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert im Erdgeschoß beendet haben, fahren sie auf einer Rolltreppe dem Licht sowie der Zeit nach 1945 entgegen. Die Kunstwerke selbst allerdings müssen sie in künstlich beleuchteten Räumen betrachten. Der Mittelgang ist nicht als Ausstellungsraum gedacht und praktisch leer.

Architekt Adrien Fainsilber nennt seinen Mittelgang „Schiff“. Als hätte er einen Konkurrenztempel zum Straßburger Münster entworfen, das jenseits der Ill liegt und aus der oberen Etage des Museums zu sehen ist. In jedem Fall sind die Dimensionen seines Mittelgangs auf der Höhe des musealen Programmes: Straßburg wollte etwas ganz Großes.

Mehrere Generationen von BürgermeisterInnen hegten diesen Wunsch. Und das schon seit den 60er Jahren. Aber erst in den Achtzigern schaffte die kulturelle Dezentralisierung die politischen Voraussetzungen. 1987 segnete ein gaullistischer Stadtvater das Museum ab. Seine sozialistische Nachfolgerin Trautmann blieb dem Projekt treu. Neben der Straßenbahn wurde es ihr wichtigstes Anliegen. Angesichts stetig steigender Kosten und politischer Widerstände in Paris vergingen trotzdem elf Jahre bis zur Realisierung. Schließlich war es der Einzug Trautmanns im Juni 1997 ins Pariser Kulturministerium, der für die letzte Beschleunigung des Projekts sorgte. Jetzt hat nach den französischen Provinzstädten Saint-Etienne, Grenoble, Nimes und Lyon auch Straßburg sein eigenes Museum für moderne Kunst. 233 Millionen Franc (etwa 70 Millionen Mark) hat der Bau gekostet, wovon gut die Hälfte aus dem Stadtsäckel kam. Für den Eintrittspreis, der mit 30 Franc (9 Mark) auf Pariser Niveau liegt, bietet das „Musée de l'art moderne et contemporain“ (Mamc) einiges, das anders ist.

Auch wenn Videokunst und andere elektronische Kunstrichtungen weitgehend fehlen und wenn es kaum überseeische KünstlerInnen im Programm hat: Es ist das vorletzte Museum für moderne Kunst (vor Toulouse), das sich Frankreich in diesem Jahrhundert leistet. Es ist das einzige des ganzen Landes, das die komplette Moderne – vom Impressionismus bis heute – mit zahlreichen großen Namen von Monet über Kandinsky und Picasso bis zu Tinguely umfaßt. Es hat eine umfassende eigene Fotosammlung (die wie die meisten Gemälde und Skulpturen aus den Beständen der anderen örtlichen Museen übernommen wurde). Und es zeigt zahlreiche französische und andere europäische KünstlerInnen.

Elsässische KünstlerInnen sind besonders berücksichtigt: Für die Werke des in Straßburg geborenen Malers und Zeichners Gustave Doré (1832–1883) hat das Museum einen eigenen Saal gebaut, in dem in den nächsten Wochen sein sechs mal neun Meter großes Christusbild vor den Augen der BesucherInnen restauriert wird. Auch der ebenfalls in Straßburg geborene Arp (1887–1966), der weltweit unter dem Vornamen „Hans“ bekannt ist, und im Mamc den französisierten Doppelvornamen „Hans-Jean“ trägt, ist vielfach vertreten. Von KünstlerInnen der letzten Jahre, die außerhalb des Elsaß weitgehend unbekannt sind, zeigt das Museum ebenfalls viele Stücke.

Trotzdem hat es bislang keinen eigenen Charakter. Fehlt ihm das gewisse Etwas, das es von anderen französischen Museen für moderne Kunst unterschiede. Das Mamc könnte irgendwo stehen. Mitverantwortlich für diese eigenartige Ort- und Zeitlosigkeit mag sein, daß die Abhängigkeit von Paris trotz der Dezentralisierung fortbesteht. Die 3 bis 4 Millionen Franc (0,9 bis 1,1 Millionen Mark) Jahresetat des Mamc für Neuerwerbungen mögen viel sein für eine Stadt wie Straßburg. Aber der Bestand an modernen KlassikerInnen läßt sich damit unmöglich vergrößern.

Im Mamc stammen deswegen nicht nur die KonservatorInnen aus den großen Museen der Hauptstadt – auch ein bedeutender Teil der Exponate, zumal bei den illustren Namen – sind auf ein bis drei Jahre befristete Leihgaben des Orsay- und Picasso-Museums sowie des Centre Pompidou, das seine Stücke während der gegenwärtigen mehrjährigen Renovierung großzügig durch die Provinz touren läßt.

Sollte Paris eines Tages seine Ausleihen stoppen, wäre in Straßburg kein chronologischer Überblick über die Moderne ab 1870 mehr möglich. Auch aus den Nachbarstädten jenseits des Rheins gäbe es dann keinen Ersatz. Denn grenzüberschreitende Leihgaben zwischen Museen sind „unüblich“, sagt Rodolphe Rapetti, der vor drei Jahren aus Paris geholte Direktor der Straßburger Museen.

So bleibt das Mamc vorerst ein Pariser Satellit. Auch wenn in seinem Mittelgang ein Sinnspruch prangt über Rechtecke, die auf einer internationalen Grenze plaziert und dort gedreht werden, um „ein Stück von einem Land in das andere einzufügen“. Dieser von Lawrence Weiner stammende Spruch ist auf Französisch und Englisch in großen Lettern auf die Glaswände appliziert. Auf Deutsch, Elsässisch oder in anderen europäischen Sprachen hängt er nirgends in dem neuen Museum der Europastadt. Dorothea Hahn

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