: Fest verschnürte Vögel
Wenn die Alsterschwäne in ihr Winterquartier gebracht werden, holen Helfer sich schon mal Platzwunden, weil sie falsch zufassen ■ Von Gernot Knödler
Schwäne fangen will gelernt sein. „Wenn Sie den Schwan am Hals packen, dann trommelt er so lange auf Sie ein, bis Sie zusammensacken“, warnt Olaf Nieß. Die Tiere boxen mit den „Ellenbogen“, dem harten, gebogenen Teil der Flügel – aber nur, wenn sie sich bedroht fühlen. „Dann kann es zu Platzwunden kommen“, erzählt der Revierjagdmeister, „das ist mir auch schon passiert“.
Nieß und seine Mitarbeiter haben ihre Lektion gelernt: Sie packen die Tiere am Ansatz der Flügel, so daß diese erst gar nicht zum Knockout ausholen können und binden ihnen mit fünf Wicklungen eines groben Stricks die Beine zusammen. Anschließend werden die Flügel fixiert. Zu länglichen Paketen verschnürt landen die Tiere auf dem strohbedeckten Boden eines offenen Kahns. Frustriert legen die Schwäne ihre langen Hälse auf den Boden; manche fiepen klagend.
57 Alsterschwäne wurden gestern auf diese Weise gefangen; anschließend wurden sie ins Winterquartier am Eppendorfer Mühlenteich gebracht. Für Nieß und seine Helfer besteht der schwierigste Teil der Übung darin, die Vögel auf so einen kleinen Raum zusammenzutreiben, daß die Jäger sie von ihren schwankenden Booten aus packen können. Mit Zuckerbrot und Peitsche – Tüten voller Schnittbrot aus dem Supermarkt und langen Stangen – werden die Schwäne von mehreren Kähnen aus auf die Rathausschleuse zugetrieben.
Warum die Tiere nicht wegfliegen? „Das sind beamtete Staatsschwäne, die wissen, wie sie sich auf öffentlichen Gewässern zu verhalten haben“, scherzt Nieß. Dann erklärt er, daß die Tiere einfach nicht merken dürfen, was gespielt wird, damit sie nicht durchgehen. „Das ist eine Frage der Taktik“, sagt der Schwanenvater nicht ohne Stolz.
Die Fänger müßten die Tiere genau beobachten, um rechtzeitig reagieren zu können, wenn einer unruhig wird. Fliegt ein Vogel auf, düsen alle ab; bemerken die einen, daß ein anderer eine Lücke zwischen den Booten ausgemacht hat, flitzen sie hinterher. „Die Boote müssen exakt richtig angesetzt werden, damit sie die Schwäne in einem sauberen Verband in die Schleuse kriegen“, erläutert Nieß.
Daß die Viecher überhaupt gefangen werden, hat viele Gründe. Zum einen ist es seit dem 11. Jahrhundert Traditition in der Hansestadt. Zum anderen sollen die Tiere nicht in die Stadt marschieren und dort den Straßenverkehr gefährden, wenn ihnen bei Frost die Fläche des noch offenen Wassers zu klein wird.
Vogelfrei ist die Alster im Winter trotzdem nicht. In jedem Jahr landen eine Menge Besucher auf dem Gewässer, denn Hamburg ist „Haupt-Überwinterungsgebiet“ der Schwäne. Für die Vögel aus Skandinavien, Rußland und Polen ist der deutsche Winter attraktiv wie für manche Menschen der auf Mallorca.
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