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Diagnose bestätigt, Therapie umstritten

■ Heute stellt Gesundheitssenatorin Hübner ihr Konzept zur Neustrukturierung der Berliner Krankenhäuser vor. Umstrittenes Gutachten empfiehlt Privatisierung, Ärztekammerpräsident Huber fordert Reforme

Die Stimmung im Krankenhaus Moabit ist schlecht. „Seit 1984 bin ich hier, seit 1985 soll das Haus geschlossen werden“, sagt Günther Jonitz entnervt, betont jedoch im gleichen Atemzug, er sei bereit, für den Erhalt seines Krankenhauses zu kämpfen, notfalls mit einer Blockade des Flughafens Tegel. Jonitz ist Vizepräsident der Berliner Ärztekammer und arbeitet als Chirurg im Krankenhaus Moabit, das mit rund 550 Betten und 1.500 Beschäftigten und trotz Umwandlung in eine GmbH noch immer eine der großen Kliniken in städtischem Besitz ist.

Jonitz weiß, daß trotz zahlreicher Krisen in der 125jährigen Geschichte seiner Klinik das Aus noch nie so nah war wie jetzt. Denn Moabit steht auf der Schließungsliste des umstrittenen Kieler Gutachtens zur Neustrukturierung der Berliner Krankenhauslandschaft (siehe Kasten), das seit seiner Präsentation im August die gesundheitspolitischen Akteure der Stadt in Atem hält. Zwar hat Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) inzwischen verkündet, daß sie das Gutachten nicht eins zu eins umsetzen will. Dennoch: „Nach allem, was man so hört“, sagt Jonitz, „sieht es so aus, als solle Moabit den Krankenkassen geopfert werden.“ Gespannt wartet deshalb nicht nur er auf den heutigen Tag, an dem sich der Senat mit dem Gutachten beschäftigen und die Gesundheitssenatorin sich endlich ausführlich zur Umsetzung der Expertise äußern will.

Der Handlungsdruck ist groß. Obwohl die Beitragssätze der hiesigen Krankenkassen mit durchschnittlich 15,6 Prozent um zwei Prozentpunkte über dem bundesweiten Durchschnitt liegen und damit unter den höchsten der Republik, reicht das Geld schon lange nicht mehr: Würde nicht jährlich rund eine Milliarde Mark in einem kasseninternen Ausgleich aus anderen Bundesländern nach Berlin gepumpt, wäre die Finanzierung der Kliniken nicht mehr gewährleistet. Und genau zu dieser Unterstützung sind die Kassen nicht mehr bereit. Seit langem fordern sie grundlegende Einschnitte.

Doch die Berliner Gesundheitspolitik – jahrelang personifiziert von dem mächtigen Gesundheitsstaatssekretär Detlef Orwat (CDU), mit dem sich die Senatorin erst jüngst überwarf – erwies sich als erstaunlich resistent, was Reformen angeht. Dabei gab es dafür nach der Wende einen gigantischen Bedarf. Denn die Berliner Krankenhäuser hatten nicht nur die Probleme, die es überall in der Republik gibt: Sie machten sich jahrzehntelang – dank der Finanzierung nach dem Grundsatz der Selbstkostendeckung – weder über Wirtschaftlichkeit noch interne Strukturen Gedanken, die entsprechend veraltet sind.

Überversorgung in beiden Stadthälften

In Berlin kam es zudem durch die Wende zum Zusammenschluß zweier überversorgter Stadthälften. Im Westteil war Krankenhauspolitik jahrzehntelang – ermöglicht durch westdeutsche Subventionen in Milliardenhöhe – von dem Ziel einer vollständigen Autonomie geprägt. Schließlich sollte die ausreichende Versorgung der Bevölkerung in allen Fachgebieten und Versorgungsstufen im Krisenfall sichergestellt sein. Im Ostteil der Stadt waren die Krankenhäuser für einige Fächer das Versorgungszentrum für die gesamte DDR. Nach der Vereinigung gab es in Berlin 40.000 Krankenhausbetten, Gesundheitsexperten der Stadt halten übereinstimmend 24.000 für ausreichend. Doch statt gezielt abzubauen und umzustrukturieren, sparte Staatssekretär Orwat – vermutlich um unliebsame Einschnitte zu vermeiden – zaghaft und nach dem Zufallsprinzip. Zudem brachte er das neue und 500 Millionen Mark teure Unfallkrankenhaus Marzahn auf den Weg, gegen das die Kassen allerdings auch keine Einwände erhoben.

Krankenkassen setzen Politik unter Druck

Doch die Bundeskassen wurden zunehmend ungeduldig. Unterstützt vom damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), der Berliner SPD und den Bündnisgrünen setzten sie Orwat und seine Senatorin unter Druck – bis diese sich schließlich in der sogenannten Berlin-Vereinbarung verpflichteten, dazu beizutragen, daß der Beitragssatz der hiesigen Krankenkassen spätestens Ende 2002 nur noch ein halbes Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt. Ein Sofortprogramm, das das Budget für alle Berliner Krankenhäuser innerhalb von zwei Jahren um 300 Millionen auf maximal 5,245 Milliarden Mark 1999 senken soll, wurde als erster Schritt vereinbart. Gleichzeitig sagte das Land zu, ein mit den Kassen gemeinsam in Auftrag gegebenes Gutachten zur Grundlage eines neuen Krankenhausplans zu machen, der spätestens im April 1999 verabschiedet werden soll. Hält sich das Land an einzelne Vorschläge des Gutachters nicht, muß es nachweisen, warum diese Maßnahme nicht sinnvoll ist.

Kritik kommt von allen Seiten

Kaum war das Gutachten Mitte August veröffentlicht (siehe Kasten), hagelte es Kritik von allen Seiten – die Auftraggeber ausgenommen. Ärztekammer und ÖTV gaben Gutachten zum Gutachten in Auftrag, in den Bezirken machten sich Bürgermeister und Wahlkreisabgeordnete für ihre Kiezkrankenhäuser stark, Beschäftigte demonstrierten, Prominente unterschrieben und Staatssekretär Orwat sammelte Material gegen die Kieler Expertise, die er am liebsten ganz verhindert hätte.

Die Hauptkritik: Die Kieler hätten überholte Zahlen verwendet und diese auch noch einseitig interpretiert. Sie hätten die Leistungsstrukturen der einzelnen Häuser sowie die Situation in den entsprechenden Region nicht berücksichtigt. Und: Die Empfehlungen seien nicht inhaltlich begründet, sondern ideologisch motiviert. „Das Gutachten geht einfach davon aus, daß private Krankenhäuser per se wirtschaftlicher sind als kommunale“, sagt der Berliner ÖTV-Vize Ernst- Otto Kock, „dabei hat Wirtschaftlichkeit nichts mit dem Träger, sondern mit dem Managemt zu tun.“ Doch trotz aller Kritik teilen die meisten gesundheitspolitischen Fachleute der Stadt – auch die ansonsten für Besitzstandswahrung bekannte ÖTV – die Zielvorgaben der Gutachter: die Verringerung der Bettenzahl von 27.600 auf 24.000, die Einsparung von einer Milliarde Mark, die Stärkung der kleinen und mittelgroßen Kiez- Krankenäuser mit Grund- und Regelversorgung sowie den Abbau von Häusern mit Hochleistungsmedizin, von denen es in Berlin überdurchschnittlich viele gibt. Und: Alle sind froh, daß endlich Bewegung in die Krankenhauspolitik gekommen ist.

Umstritten aber ist der Weg zur Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft: Bündnisgrüne, ÖTV und Ärztekammer, die Klinikschließungen und Privatisierungen, wie sie der Gutachter vorsieht, ablehnen, setzen statt dessen auf Strukturveränderungen innerhalb der einzelnen Häuser. „Wir haben nichts davon, wenn einzelne Krankenhäuser geschlossen werden und die anderen so weitermachen wie bisher“, sagt Bernd Köppl von den Bündnisgrünen. Er propagiert regionale Versorgungsverbünde unter den Häusern, die ÖTV will die städtischen Kliniken in eine Anstalt öffentlchen Rechts zusammenschließen und durch ein gemeinsames Management stärker verzahnen, die Ärztekammer setzt auf eine Neustrukturierung des gesamten Berliner Gesundheitswesens, das – so will es Kammerpräsident Ellis Huber – bundesweit Modellcharakter haben soll: „Wir müssen die Krise als Chance begreifen.“ Alle wollen eine breite Diskussion über die Zukunft der Kliniken: „Ein Konsens ist dringend notwenig“, sagt Köppl.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hält Klinikschließungen für notwendig, will aber, wie die gesamte Große Koalition, betriebsbedingte Kündigungen vermeiden. Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag am Wochenende gegen die vollständige Privatisierung der städtischen Kliniken ausgesprochen. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky betont dagegen, daß Privatisierung im Einzelfall sinnvoll seien kann. Doch vor konkreteren Aussagen scheinen beide Regierungsfraktionen die Vorschläge der Gesundheitssenatorin abzuwarten.

Kassen halten an Gutachten fest

Die Arbeitsgemeinschaft der Berliner Krankenkassenverbände dagegen hält trotz erheblicher Kritik an dem Gutachten als Basis für die künftige Krankenhausplanung fest. „Es gibt keine ernstzunehmenden Alternativen“, sagt der Berliner AOK-Chef Rolf Müller im Namen der Arbeitsgemeinschaft, äußert sich aber nicht konkret zu einzelnen Maßnahmen. Aus verschiedenen Äußerungen kann man dennoch schließen, daß es auch für die Krankenkassen Diskussionspielraum über die einzelnen Maßnahmen gibt. Auch er kennt die Gerüchte, daß einige Kliniken – wie das Kreuzberger Kiez- Krankenhaus am Urban, das Tempelhofer Wenckebach-Krankenhaus und die anthroposophische Klinik Havelhöhe in Spandau – gerettet, „Moabit aber am schärfsten von der Schließung bedroht ist“, wie es der bündnisgrüne Gesundheitsexperte Bernd Köppl nennt. Daß die Kassen sich mit der Schließung von Moabit zufrieden geben würden, sei falsch, betonte Müller: „Wir wollen kein Bauernopfer.“ Klar äußert sich der AOK-Chef vor allem zum Procedere der Krankenhausplanung. Geht es nach den Kassen, werden sie und nur sie daran beteiligt.

Doch Gesundheitssenatorin Hübner hat bereits signalisiert, daß sie an einem Beirat zur Klinikplanung auch die Berliner Krankenhausgesellschaft, die alle Klinikträger vertritt, beteiligen will; in eine zweite Arbeitsgruppe zum Thema Personalabbau will sie auch Gewerkschaften – die natürlich betriebsbedingte Kündigungen verhindern wollen – und Ärztekammer einbinden. Zur Lösung des Personalproblems will die Senatorin eine Personalbörse einrichten, an der sich alle Berliner Kliniken beteiligen sollen. Offen ist jedoch, wie Hübner die Umstrukturierung der Kliniken angehen will. Dabei steht sie unter enormen Druck: Denn scheitert die als schwach und etwas unbedarft geltende Ost-Senatorin, überlebt sie das politisch nicht.

So dürfen alle gespannt sein, was Hübner in der heutigen Senatspressekonferenz verkünden wird. Eines hat sie auf Anfrage der taz schon klargestellt: Zu einzelnen Häusern wird sie sich noch nicht äußern. Auf klare Ausagen müssen Günther Jonitz und seine Moabiter KollegInnen bis Anfang des Jahres warten. Sabine am Orde

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