■ Herr Hefele kriegt zwei Minuten: Gedanken über die Zukunft des Torjubels nach Säge, Hund und Möhre
Kuntz ist schuld. Der und seine „Säge“. Davor – in der präkuntzialen Ära – reckten Fußballer – wir wollen von Fußballern reden – nach erfolgreichem Torschuß die Arme gen Himmel und ließen sich von den Kameraden herzen. Mit Kuntz wurde alles anders.
Eines schönen Tages nämlich fand es Stefan Kuntz langweilig, immer nur die Hände hochzuhalten und beschloß, seinen Torjubel umzugestalten. Keine einfache Aufgabe, denn der Torjubel hat bekanntlich Tradition. Ob Stefan Kuntz viel grübelte oder einem spontanen Impuls nachgab, ist nicht bekannt, sicher ist, daß er daran ging, seine Begeisterung in einen uns allen bekannten Bewegungsablauf zu gießen: den des Sägens. Er ging leicht und federnd in die Knie und hob an, pantomimisch zu sägen. Pantomimisch zu sägen...? Sie haben schon richtig verstanden: pantomimisch zu sägen. Stefan Kuntz tat so, als ob er sägen würde. Mit einer großen Gestellsäge. Was er durchsägte? Einen Stamm, einen Ast, was immer Sie wollen! Es ist auch völlig gleichgültig, was Stefan Kuntz pantomimisch durchsägte, wichtig ist die Geste als solche. Und ihre Folgen. Was geschah nämlich? Niemand kam auf die Idee, das Nächstliegende auszusprechen: „Der Kuntz hat sie nicht mehr alle!“ Im Gegenteil: Viele, ja fast alle fanden das Kuntzsche Sägen schick beziehungsweise „geil“. Es gab plötzlich Legionen von Nachahmern. Nahezu alle Torschützen hatten von Stund an nichts Besseres zu tun, als, kaum daß der Ball im Netz gelandet war, ausladend die Knie zu beugen und die geballte Faust kolbenartig vor- und zurückzubewegen.
Manche verstanden den Sinn der Bewegung überhaupt nicht oder nur unvollkommen und variierten die Kuntzsäge unfreiwillig. Stießen den Sägearm wie eine Lanze vor sich her, einen imaginären Gegner niederrammend, beziehungsweise versuchten, in einer stilisierten Schraub- und Bohrbewegung quasitänzerisch eine Öffnung herzustellen beziehungsweise sich in eine solche einzuführen. Es gab etliche Mißverständnisse, aber keinen Torerfolg mehr ohne drei- bis vierdeutige Armbewegungen. Niemand kam auf die Idee, das Sägen und die Sägenden zu hinterfragen. Eine sehr befremdliche Tatsache, denn seien wir doch ehrlich: Was hat Sägen mit dem Erzielen von Toren im Fußball zu tun? Selbst bei sehr wohlwollender, ausschweifender Erörterung des Themas... Am ehesten noch: Der Torwart hat ja wohl geschlafen (sägen). Vergessen Sie's.
Die Kuntzsche Säge trat also ihren Siegeszug an, und lange, lange Zeit gab es nichts als die Säge und mit ihr das praktizierte Beispiel für die dem Fußballer innewohnende Einfältigkeit. Und man hatte sich schon abgefunden, und keiner fragte mehr, was das eigentlich soll. Da kam – anläßlich der WM in den USA – urplötzlich Bewegung in die Jubelszene. Es traten auf die Herren Romario und Bebeto und schaukelten breit grinsend und mit gekrümmten Armen ein imaginäres Kind. Und es wurde ihnen gehuldigt, weil sie so pfiffig und kreativ seien. Brasilianer halt. Und plötzlich wollte keiner mehr hintanstehen: Das wäre ja noch schöner!
Es begann die große Zeit des kommentierenden Jublers. Wie das geht? Das geht so: Die Öffentlichkeit / Medien / Zuschauer sagen / beschimpfen / verhöhnen einen Spieler in irgendeiner Form, worauf jener via Torjubel zurückäfft, ihnen dergestalt die Torheit ihres Vorwurfes spiegelnd. Beispiel: Jürgen Klinsmann, den die britische Presse als Schwalbenkönig – „Diver“ – verhöhnte, als er bei Tottenham Hotspur anheuerte. Jürgen, nicht faul, warf sich anläßlich seines nächsten Treffers auf den Bauch und „tauchte“ den ihn Schmähenden und ihrer Kritik entgegen und unter ihr durch. Und stand blitzblank, gereinigt durch die Macht der Ironie vor seinen Fans und hatte alle auf seiner Seite.
Seither nehmen die Jubelvarianten kein Ende mehr. In Brasilien heißt es, imitiere ein Spieler das Pinkeln in der Hocke, weil ihn die Zuschauer des öfteren als „Hund“ beschimpften. Ein anderer, den sie Kaninchen nennen, nagt nach dem Torschuß an einer unsichtbaren Möhre. Den einheimischen Fußballfans dürfte der Torjubel à la Dehnübung von Giovane Elber und Bixente Lizarazu in Erinnerung sein. Welchen Hintergrund diese Variante allerdings hat, weiß der Geier. Sie gehört vermutlich wie „Hüftkreisen an der Eckfahne“ und „Hemd über den Kopf und auf und davon“ in die Sparte „völlig sinnloser und bescheuerter Torjubel“, und wir dürfen gespannt sein, was als nächstes folgt. Knoten in die Hose vielleicht (wir machen den Sack zu) oder eine Schaufelbewegung (noch eine Schippe drauflegen). Das hätte was – außerdem wären wir damit wieder bei Stefan Kuntz, dem Handwerkerjubel und der Säge, und der Kreis hätte sich geschlossen.
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