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Der geliebte Engel

Jean Marais ist tot. Als Schauspieler war er der Schwarm mehrerer Frauen- und Männergenerationen, privat blieb er der Lebensgefährte des Dichters Jean Cocteau. Ein Nachruf  ■ Von Jan Feddersen

Autobiographien sind selten genießbar. Meist lesen sie sich so, als hätten deren Verfasser nichts anderes im Sinn gehabt, als die Unpäßlichkeiten des Lebens gütig zu retuschieren und die Glücksfälle um so stärker zu prononcieren. 1975 erschien auf deutsch eine sich von dieser Regel angenehm abhebende Ausnahme. Jean Marais hat sie geschrieben, der französische Schauspieler, der durch Hauptrollen in Filmen wie „Die Schöne und das Biest“ (1946), „Orphée“ (1950) und „Der Graf von Monte Christo“ (1953) zum umschwärmtesten französischen Mann der vierziger und fünfziger Jahre wurde – weil er schön war, sehr schön, männlich und trotzdem nicht verhärtet, zudem noch charmant, wie ein Kritiker ihn Ende der fünfziger Jahre erstaunt und verwundert skizzierte.

Als Kind verlassen, verführt und verspottet

Marais' Buch „Spiegel meiner Erinnerungen“ ist zwar nicht frei von Lobhudeleien in eigener Sache, dafür verschweigt es aber nicht seine elende Suche nach so etwas wie Bestätigung, Liebe und Erfolg. Einen Leidensweg hatte er zunächst zu gehen, so sah er es später, eine Zeit der Entbehrungen, um „im Licht“ anzukommen. Geboren als Jean Alfred Villain-Marais am 11. Dezember 1913 in Cherbourg. Die Eltern – früh getrennt; die Mutter – früh verurteilt wegen ihrer unbezwingbaren Kleptomanie; seine Homosexualität – die Marais zunächst nur als Resultat einer Verführung durch einen Freund seiner Mutter wahrnehmen konnte; schulische Mißerfolge; Schulkameraden – die ihn wegen seiner weichen Körperbewegungen hänselten.

Zu der entscheidenden Begegnung, die alle Hoffnungen des jungen Mannes auf eine Wende zum Besseren erfüllen sollte, kam es erst 1937. Bis dahin versuchte sich Marais als Fotoretuscheur, als Golflehrer und Schauspielschüler. Seine Stimme mißfiel allen Regisseuren, denen er sich vorstellte. Sie sei zu dünn und ängstlich. Zwar spielte der Normanne schließlich doch noch in einigen Filmen, aber zu echter Berühmtheit brachten sie ihn nicht.

Er war ein blendend aussehender Mann. Und einer, der das wußte. Viril, als sei er ein Faß voller Testosteron, zerbrechlich, als wären seine Knochen aus Glas. Er gefiel den Frauen und auch den Männern. Was in erotischer Hinsicht zu gewinnen war, wollte er auch haben. 1937 fand er endlich seinen Inspirator: Jean Cocteau. Er war eben der, bei dem Marais das Gefühl haben konnte, gebraucht – und nicht nur benutzt zu werden. Denn heimlich, gestand er in einem Interview, das er Anfang der siebziger Jahre gab, mit genügend Abstand zum Tod seines Lebensgefährten 1963, habe er seiner Schönheit immer mißtraut. Sie sei ihm wie ein schützender Fluch vorgekommen, als habe Gott sie ihm nur verliehen, damit die Welt leichter über seine inneren Unsicherheiten hinwegsehen kann.

Die Partnerschaft mit dem 24 Jahre älteren Cocteau – ein offenkundig intimes Verhältnis, das die französische Öffentlichkeit nie auch nur eine Sekunde beanstandete –, dauerte im Sinne beider ewig. „Mein guter Engel“ schrieb Cocteau, wenn er an Marais einen Brief schrieb, gelegentlich auch „Mein Sohn“. Eine Vater-Sohn- Beziehung war es trotzdem nie; eine monogame, läßt sich anfügen, auch nicht. Was Cocteau seinem Mann voraus hatte, war lediglich Erfahrung in dem, was weniger und was mehr zählt im Leben. „Du wirst erst richtig gut sein, wenn du gegen die Schönheit anspielst“, hat er Marais erzählt. In „Orphée“, aber vor allem in „Die Schöne und das Biest“ gelang Marais genau dies: so zu spielen, daß sein Äußeres keinen Neid erwecken konnte.

Marais durfte sich von Cocteau abhängig fühlen, ohne daß ihm weh getan wurde; ohne Marais hätte Cocteau seine durchaus antisurrealistischen, durchweg romantisch-poetischen Vorstellungen vom Film nicht durchsetzen können: Ätherisch-ästhetische Vorstellungen, die die Wünsche der Nachkriegskinogänger Frankreichs nach viel himmlischem Stoff gierig befriedigten. Marais hatte plötzlich keine Probleme mehr mit seiner männlichen Identität, die Stimme klang nun satt, sein Körper wirkte im Film wie im Leben kräftig. Beide, Cocteau und Marais, waren frei von Dünkel. Als Jean Marais die Rolle des Grafen von Monte Christo angeboten bekam, riet ihm Cocteau zu – für ihn war klar, daß auch aus populärem Stoff große Kunst gemacht werden kann.

Als Erwachsener in allen Milieus akzeptiert

So hatte Marais schließlich in allen Milieus gleich guten Kredit. Den Intellektuellen war er kein Verräter am guten Geschmack; dem amüsierwilligen Volk in den billigen Vorstadtkinos ein Held in der Maske des Robin Hood, vor allem in den während der sechziger Jahre gedrehten „Fantomas“-Filmen.

Als die Zeit des großen Kinos Mitte der sechziger Jahre vorbei war, spielte Marais wieder mehr Theater. Der Tod des Freundes Jean Cocteau 1963 bedeutete für Marais auch ein Leben als Witwer. Eine neue Beziehung suchte er nie. Warum auch? Einem Menschen war er wichtig wie sonst nichts, dessen Nummer eins, unangefochten; an dessen Liebe konnte er sich ohne Bitterkeit erinnern. Das war ihm das wichtigste Geschenk seines Lebens. An Cocteaus Grab sagte er: „Jean, ich weine nicht. Ich werde schlafen und dich dabei ansehen und sterben, denn von nun an werde ich nur so tun, als lebte ich.“

Zuletzt stand er voriges Jahr im Pariser Kabarett Folies Bergère in dem Stück „L'Arlésienne“ auf der Bühne – in einer Rolle als weiser Schäfer, die ihm das Publikum stets mit Vorabapplaus dankte.

Der muntere Greis beschäftigte sich am Ende seines Lebens mit Töpferei, malte gern überbordend grelle Bilder und verfaßte Kinderbücher von kluger Schlichtheit. Seinem Schauspielerkollegen Jean-Claude Brialy gestand er vor zehn Tagen am Telefon, keine rechte Lust am Leben mehr zu haben. Der Körper, die Seele... Jean Marais starb am Sonntag im Alter von 84 Jahren an den Folgen einer Lungeninfektion in seinem Haus in Vallauris an der Côte d'Azur.

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