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Gedämpfter pazifistischer Enthusiasmus

80 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sieht Frankreichs Militär einer Zukunft ohne Wehrpflicht entgegen. Die Arbeit von Verweigerern und pazifistischen Organisationen wird dadurch nicht einfacher  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Achtzig Jahre nach dem Ende des großen Schlachtens, das heute mit den üblichen Zeremonien begangen wird, ist Bewegung in Frankreichs Militärdiskussion geraten. Nicht nur, weil mit Lionel Jospin erstmals ein Premierminister der bislang verdrängten Meuterer gedenkt, sondern auch, weil in diesem Herbst die erste Generation von jungen Franzosen von der vaterländischen Pflicht in den Kasernen verschont bleibt.

Die Aufhebung der Militärpflicht, wie sie Staatspräsident Jacques Chirac 1996 in die Wege geleitet hat, ist damit in die Ernstphase getreten. Seit dem 1. Oktober finden jeden Samstag irgendwo im Land die eintägigen Seminare „zur Vorbereitung auf die Verteidigung“ statt, die fortan den Militärdienst ersetzen. Von der Jahrtausendwende an sollen auch die jungen Frauen in diese Ersatzübung einbezogen werden. Um das Thema „Landesverteidigung“ nicht allein diesem einen Tag zu überlassen, soll es ab dem kommenden Schuljahr Teil des Geschichtsunterrichts werden. Die Lehrpläne sind in Arbeit.

Auch wenn noch bis ins Jahr 2002 Wehrpflichtige aus den Geburtsjahren vor 1978 eingezogen werden, geht damit eine Epoche zu Ende, die nach einem typisch französischen HistorikerInnenstreit mit der Revolution begonnen hat. Tatsächlich währte die Mobilisierung aller männlichen Franzosen von 1793 nur vorübergehend. Eine allgemeine Wehrpflicht existierte erst seit 1905.

Ins Lager der AntimilitaristInnen wechselt Frankreich mit seiner Reform freilich nicht. „Natürlich freue ich mich über die Aufhebung des Militärdienstes“, sagt der 23jährige Thomas Bertin, einer der letzten Kriegsdienstverweigerer, der gegenwärtig in der „Bewegung für eine gewaltfreie Alternative“ (MANV) arbeitet, „schließlich haben die Pazifisten dafür 30 Jahre lang gekämpft.“ Dann zählt er auf, warum sein Enthusiasmus trotzdem gedämpft ist: Die Berufsarmee, die Frankreich jetzt einführt, hält er für gefährlich, weil sie die Verteidigungspolitik weniger in Frage stellen wird: „In den Köpfen von Soldaten ist Verteidigung zwangsläufig eine militärische Angelegenheit und nicht die Suche nach friedlicher Konfliktlösung.“

Diese Kritik teilt Christian Le Meut, der für die Zeitschrift Non Violence Acualités arbeitet. Er erinnert an die putschistischen Tendenzen in der Geschichte der französischen Armee, die er als „Staat im Staate“ beschreibt, „der keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt“. Die militärische Lobby könne jetzt noch ungehinderter Druck für ein hohes Budget ausüben.

Tatsächlich hat die Abschaffung des Wehrdienstes weder den Militäretat noch die Weiterentwicklung der Rüstungssysteme beeinträchtigt. Und seine atomare Streitmacht testet Frankreich ebenfalls weiter – bloß neuerdings in Laborversuchen. Die Reform folgt vielmehr der Logik schneller Einsätze in großer Ferne, für die Berufssoldaten geeigneter sind.

Für die antimilitaristischen Vereinigungen in Frankreich ist mit der Aufhebung der Militärpflicht die Lage schwieriger geworden. So ließ schon die Ankündigung der Reform die Zahl der Kriegsdienstverweigerer von 1996 über 15.000 auf heute noch 9.445 fallen. 200.000 Soldaten leisten gegenwärtig ihren Militärdienst ab.

Zugleich strich die Regierung die Finanzierung des Zivildienstes. Seit 1997 müssen die Vereinigungen ihre „Zivis“, abgesehen von dem Grundsold von 500 Francs (150 Mark), selbst bezahlen.

Die „Bewegung der Gewissensverweigerer“ (MOC), jahrelang die radikalste Gegnerin der Militärpflicht, ist heute auf knapp 300 Mitglieder geschrumpft. Gegenwärtig bereitet sie einen Kongreß vor, bei dem sie über ihre Auflösung beraten will. „Ziel erreicht“, sagen viele MOC-Militante.

Historisch erledigt ist die Sache mit der Kriegsdienstverweigerung keinesfalls. Eric Sapin vom „Koordinationskomitee für den Zivildienst“ (CCSC) erklärt, daß die Regierung den Militärdienst „nicht abgeschafft, sondern bloß aufgehoben“ habe. Die neuen Generationen, erstmals in der Geschichte auch die Frauen, werden weiterhin militärisch erfaßt und können im Notfall auch mobilisiert werden. Das CCSC ruft dazu auf, bei der Registrierung umgehend mit Gewissensverweigerung zu reagieren. Ein Gesetz für diese prophylaktische Verweigerung muß allerdings erst noch geschaffen werden.

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