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Ein Kanzler sucht nach seinem Stil

Wie nahe wird Gerhard Schröder in seiner ersten Regierungserklärung an seine SPD-Vorgänger heranreichen? „Mehr Demokratie wagen“, hatte Brandt gefordert, Schröder blieb pragmatisch: „Mehr Demokratie praktizieren“  ■ Aus Bonn Markus Franz

Auf einmal legte der Kanzler los. Gerade hatte er in seiner Regierungserkärung die schleichende Verstaatlichung der Ausbildung kritisiert und war von der FDP ausgelacht worden, da platzte ihm der Kragen. „Daß Sie sich nicht für die jungen Leute interessieren, merkt man an Ihrem Gebrüll. Sie interessiert das Thema Ausbildung nicht. Das ist der wirkliche Skandal, daß die jungen Leute von Ihnen allein gelassen worden sind.“ Und noch einmal: „Das ist der wirkliche Skandal. Sie sollten sich schämen.“

Es war der mit Abstand emotionalste Moment in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Was ist denn hier los?, wunderten sich die Beobachter. Warum auf einmal so unsouverän? War er etwa der Situation nicht gewachsen? Oder hatte ihn wirklich der heilige Zorn über die Jugendarbeitslosigkeit unter der alten Regierung ergriffen? Denn in diesem Punkt hat die neue Regierung schließlich Konkretes vorzuweisen. Mit einem Sofortprogramm sollen 100.000 Jugendliche so schnell wie möglich in Ausbildung und Beschäftigung gebracht werden.

Bis zu diesem Moment war die Stimmung im Bundestag eigentlich schon ins Schläfrige abgeglitten. Union und FDP hatten ihre höhnischen Zwischenrufe so gut wie eingestellt, die Abgeordneten von SPD und Grünen klatschten eher aus Höflichkeit als aus Leidenschaft. Selbst hinterher mochten sich die Oppositionspolitiker nicht über die Rede Schröders echauffieren. Ein wenig „lahm“ sei die Rede gewesen, „müde“, „nicht aufregend“, „kein Esprit“.

Die Geister schieden sich an der Erwartung an eine Regierungserklärung. Ist es unvermeidlich, daß eine Regierungserklärung aus den zugelieferten Bausteinen der unterschiedlichen Ressorts von Finanzen über Inneres bis zu Umwelt zusammengestoppelt wird? Positiv wurde vermerkt, daß kaum ein Bundeskanzler vor Schröder in einer Regierungserklärung so konkret über die Politik der kommenden Jahre gesprochen habe. Entlastung der Familien um 2.700 Mark. Investitionen für Forschung und Bildung in den nächsten fünf Jahren werden verdoppelt. Senkung der Rentenbeiträge um 0,8 Prozent. Selbst Einzelheiten über den Verlustvortrag nannte Schröder. Es entspreche seinem persönlichen Stil, Nägel mit Köpfen zu machen, hieß es aus den eigenen Reihen.

Andererseits: „Härte gegen das Verbrechen, aber auch Härte gegen seine Ursachen“, hatte Schröder wörtlich Tony Blairs Slogan geborgt. War dieser Satz zum Thema Innere Sicherheit nicht ein wenig platt? War das meiste aus seiner Rede nicht schon bekannt? Verzettelt sich der Kanzler nicht in Einzelheiten? Was ist mit großen Linien? Wo sind die aufregenden Ideen? Was ist stilbildend, wie der große Satz von Willy Brandt: „Mehr Demokratie wagen“? Es klang anbiedernd – oder etwa modern? –, als Schröder sagte: „Wir wollen mehr Demokratie praktizieren“. Bei der Reform der Staatsbürgerschaft, räumen Sozialdemokraten ein, da habe Schröder eine Chance vertan, einen gesellschaftlichen Wandel herauszustreichen, eine Aufbruchstimmung zu formulieren.

Aber mit gutem Willen war auch aus der Rede von Schröder ein neuer Stil herauszulesen. Bemerkenswert fand ein Grüner, wie Schröder von dem Generationenwechsel in der Politik gesprochen habe. Davon, daß viele Mitglieder der Regierung früher zu den Demonstranten gehörten, die gegen die Aufrüstungspolitik Amerikas protestierten, um dann die USA aufrichtig zu loben. Ist das etwa kein guter Stil, Sachen beim Namen nennen, um daraus Vertrauen zu schaffen? Und verspricht es nicht einen Neuanfang, daß der neue Bundeskanzler den linken Intellektuellen Jürgen Habermas in seiner Rede erwähnt und von der Love Parade schwärmt?

Nüchtern urteilte die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth am Rande der Sitzung: Einige Passagen der Rede habe sie gut gefunden, so etwa die zu Forschung und Bildung. In diesem Bereich habe die Union einiges versäumt. Allerdings frage sie sich, ob Schröders soziale Wohltaten wirtschaftlich tragfähig seien.

Wie sagte der Kanzler doch: „...keine Regierung kann Wunder vollbringen. Das Mögliche aber muß sie mit aller Kraft verwirklichen. Dazu machen wir heute einen neuen Ansatz, indem wir unsere Kräfte auf das heute Wesentliche, auf das heute Mögliche konzentrieren.“ Klingt tatsächlich wie Gerhard Schröder. Ist aber Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung 1974. Schröder sagte: „Diese Bundesregierung weckt keine Illusionen.“ Na denn.

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