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Der Meister der Eintagsfliegen

Seit einem Jahr schaltet und waltet Ehrhart Körting als Justizsenator. Statt sich der konservativen Sicherheitspolitik der CDU entgegenzustellen, gefällt sich Körting in der Rolle des Provokateurs gegen linke Positionen – mit sprunghaften Vorschlägen zu allem und jedem  ■ Von Plutonia Plarre

Justizsenator Ehrhart Körting hat ein Problem, das für seine Generation nicht untypisch ist. Der Alt-68er kann keine Krawatten binden. „Der Schlips hat bei ihm immer einen Linksdrall“, verrät eine Mitarbeiterin.

Im Gegensatz zu seiner Krawatte läßt sich der Sozialdemokrat Körting auf keine klare Linie festlegen. Als der 56jährige vor genau einem Jahr zum Nachfolger der nach Hamburg enteilenden Justizsenatorin Lore Maria Peschel- Gutzeit (SPD) berufen wurde, galt er als Linksliberaler. Doch die Hoffnung, er werde Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) Paroli bieten, hat er gründlich zunichte gemacht. „Er hat sich nicht als Held in der Verteidigung von Bürgerrechten entpuppt, sondern denkt im konservativen Sinne sicherheitspolitisch“, bedauert die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Renate Künast.

Der bescheiden wirkende Körting trat kein leichtes Erbe an. Lore Maria Peschel-Gutzeit hatte in ihrer zweijährigen Amtzeit zwar wenig bewegt, es aber trotzdem geschafft, ständig in den Medien präsent zu sein. Sie machte mit zahlreichen Bundesratsinitiativen von sich reden, sie schwang für die „Aktion Saubere Hauptstadt“ den Besen. In ihrer Verwaltung und in Juristenkreisen war die 65jährige Senatorin mit dem Spitznamen „LPG“ allerdings nicht sonderlich beliebt. Die große Frau mit wallendem Rock und Klunkern an den Ohren herrschte mit der Attitüde einer Dampfwalze, die alles niedermachte, was nicht ihren Vorstellungen entsprach.

Seit Körtings Einzug weht in der Justizverwaltung ein anderer Wind. Der zierliche Mann pflegt kollegiale Umgangsformen. Er verstehe sich nicht als Chef, sondern als „Behördenleiter“, hatte er zu seinem Amtsantritt angekündigt. Seine Mitarbeiter sind von ihm angetan. Im Gegensatz zu „LPG“ sei Körting ein ausgesprochen umgänglicher Mensch, heißt es. Man könne mit ihm alles besprechen und auch Fehler machen, ohne daß er einem gleich den Kopf abreiße.

Die Bilanz seiner einjährigen Amtszeit kann sich durchaus mit der seiner Vorgängerin messen. Emsig wie diese hat Körting diverse Bundesratsinitiativen eingebracht. Er will das Tabaksteuergesetz ändern, damit der Kauf von illegalen Zigaretten schärfer geahndet werden kann. Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin unterstützt sein Ansinnen, neben Haft- und Geldstrafen die gemeinnützige Arbeit als Strafe einzuführen.

Auch in den Medien ist Körting inzwischen fast so präsent wie Peschel-Gutzeit. Kaum im Amt, forderte er die Wiedereinführung eines geschlossenen Heims für kriminelle Kinder. Polizei und CDU klatschten Beifall. Erzieher und Sozialarbeiter dagegen glaubten, nicht recht gehört zu haben. Die SPD-geführte Jugendverwaltung schäumte über die Einmischung in ihr Ressort. Körting suggeriere damit „fahrlässig“, daß das Problem durch eine Unterbringung hinter Gittern „lösbar“ sei, empörte sich der Leiter des Landesjugendamts, Wolfgang Penkert. Statt bußfertig zu schweigen, legte Körting nach und machte die Eltern für die steigende Kinder- und Jugendkriminalität verantwortlich. Er kritisierte, daß zunehmend beide Elternteile ohne zwingende materielle Not berufstätig seien und die Erziehung auf die Kindertagesstätten abwälzten.

Vor allem die Frauen fühlten sich angegriffen. „In der Konsequenz bedeutet dies nichts anderes, als die Frauen zurück an Heim und Herd zu schicken“, schimpfte die Juso-Landeschefin Ute Krüger über die „frauenfeindliche“ Äußerung. Aber es gab auch Zustimmung. „Körting hat etwas Bemerkenswertes begonnen. Er setze sich gegen die weitverbreitete, deutsche Unsitte zur Wehr, individuelle Probleme der Staatsgewalt zuzuschieben“, pflichtete die Berliner Zeitung dem Justizsenator bei.

Körting gehört der SPD seit 1971 an. Von 1975 bis 1981 sammelte er als Volksbildungs- und später als Baustadtrat in Charlottenburg politische Erfahrungen. Seine Verdienste um die Berliner Verfassung, die er 1990 zusammen mit dem CDU-Abgeordneten Klaus Finkelnburg und der Bündnisgrünen Renate Künast ausarbeitete, werden ihm bis heute hoch angerechnet.

Von 1992 bis zu seiner Wahl zum Justizsenator gehörte Körting dem Berliner Verfassungsgericht an. Daher war er im Januar 1993 an der Entscheidung beteiligt, den todkranken ehemaligen DDR- Staatschef Erich Honecker aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Kurz darauf bekam Honecker einen Reisepaß und flog nach Chile.

Heute läßt Körting prüfen, ob es in Berlin alte Strafanzeigen gegen den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet gibt. Körting hält es durchaus für möglich, in Deutschland ein Strafverfahren gegen den Chilenen einzuleiten.

Den 80jährigen Honecker freilassen und den 82jährigen Pinochet einsperren? Einen Widerspruch sieht Körting darin nicht. „Es geht darum, Unmenschlichkeit vor Gericht zu stellen. Ob der Verurteilte die Strafe absitzen muß oder nicht, darauf kommt es nicht an.“

Die Hoffnung, er werde frischen Wind in die Berliner Justiz bringen, hat Körting jedoch enttäuscht. „Er ist sehr angenehm im Umgang, aber es hat sich nicht groß etwas verändert“, sagt der Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Staatsanwälte, Jörg Raupach. Noch immer leide die Justiz an fehlender Informations- und Kommunikationstechnik.

„Unerheblich bis ärgerlich“ sei Körtings Wirken, ist aus Juristenkreisen zu hören. Mißfallen hat er vor allem mit unausgegorenen Vorschlägen zu allem und jedem. So plädierte er dafür, für die Sanierung des maroden Olympiastadions eine Sonderabgabe von 5 Mark pro Eintrittskarte zu erheben oder die Berufungsinstanzen abzuschaffen. Sprayer will er künftig bestrafen, wenn ihre Graffiti nur mit „erheblichem Aufwand“ entfernt werden können – also auch, wenn sie gar keinen bleibenden Schaden anrichten. Damit schießt er weit übers Ziel hinaus, glauben nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Staatsanwälte und Richter. „Die vorhandenen Gesetze reichen vollkommen aus“, sagt der Sprecher der Neuen Richtervereinigung, Peter Weber.

Nur der konservative Deutsche Richterbund begrüßt den Vorstoß und findet auch sonst, daß Körting vor allem bei der Verfolgung von jugendlichen Straftätern „Beachtliches“ zu Wege gebracht habe. Körting ist gerade im Begriff, neue „Diversionsrichtlinien“ für die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft zu erlassen. Danach sollen Polizisten auf frischer Tat ertappte Jugendliche, nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft, an Ort und Stelle „tätige Reue“ üben lassen. Das kann eine einfache Entschuldigung beim Opfer sein, aber auch gemeinnützige Arbeit oder die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs.

„Körting ist ein Meister im Ankündigungspopulismus“, findet der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Nobert Schellberg. Daß es ausgerechnet der vermeintliche SPD-Linke war, der die Diskussion um geschlossene Heime für kriminelle Kinder vom Zaun gebrochen hat, können ihm viele nicht verzeihen. „Mit seiner Forderung hat er ein gesellschaftliches Rollback unterstützt“, meint Renate Künast.

Auch mit den Anwälten hat es sich Körting gründlich verscherzt – spätestens, seit er auf einer Veranstaltung der Strafverteidiger-Vereinigung vehement für den Großen Lauschangriff eintrat. „Schnippisch und oberflächlich“ habe der Justizsenator die vorgetragenen Bedenken vom Tisch gewischt, erinnert sich Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig. „Die Macht und das Amt prägen die Leute offenbar entscheidender als das, was vorher war“, meint Ehrig, der Körting zuvor als einen an den Grundrechten orientierten Liberalen aus Überzeugung eingestuft hatte.

Körting aber sieht sich nicht als Populist. „Ich habe den Anspruch, auf Probleme zu reagieren“, sagt Körting, der ein Anhänger der 1973 in den USA entwickelten Broken-Window-Theorie ist. Sie besagt, daß Zerstörung und Verslumung Kriminalität begünstigen. Die „Akzente“, die er gesetzt habe, bewegten sich alle auf einer Linie. „Wie kann man die Kriminalität in der Gesellschaft eindämmen und wieder die Hemmschwellen erhöhen, ohne einem polizeistaatlichen Ton das Wort zu reden?“ fragt Körting.

Die Diskussion über geschlossene Heime habe er eröffnet, weil die vorhandenen „Mechanismen“ bei einer Gruppe von 20 bis 40 kriminellen Kindern nicht mehr funktionierten. Mit Erfolg, wie der Senator meint. Schließlich habe die Jugendverwaltung reagiert und im Sommer einen Bauernhof für strafunmündige Kinder in Brandenburg eingerichtet. „Daß ein neuer Weg begangen wird, kommt durch solche Chaoten wie mich“, feixt Körting, dem die Rolle des Provokateurs zu gefallen scheint. Um ein geschlossenes Heim im herkömmlichen Sinne sei es ihm nicht gegangen, betont er. Daß dies anders verstanden worden ist, findet er nicht so schlimm. Wer sich Gehör verschaffen wolle, dürfe „nicht alles gleich wieder in Watte packen“.

Der rechtspolitische Sprecher der CDU, Andreas Gram, will Körting beim Wort nehmen. Mit Unterstützung des Justizsenators könnten geschlossene Heime noch in dieser Legislaturperiode gegen die Widerstände innerhalb der SPD durchgesetzt werden, hofft Gram.

In der Rubrik „Nicht alles in Watte packen“ will Körting auch seine Äußerung zu den berufstätigen Eltern verbucht wissen. „Meine Intention war nicht, die Frauen zurück an Heim und Herd zu drängen. Ich wollte sagen, daß sich die Eltern mehr um ihre Kinder kümmern müssen.“ Körting selbst ist Vater von fünf Töchtern – die jüngsten sind 8 und 14 Jahre alt – und Großvater von drei Enkelinnen. Seit er Justizsenator ist, bleibt seine Frau zu Hause. Er selbst gehe aber „jeden zweiten Arbeitstag zu einer angemessenen Zeit nach Hause, um noch etwas mit den Kindern zu machen“.

Der Justizsenator versteht sich als „Freiheitsfanatiker“, dem es gegen den Strich geht, daß der Staat die Bürger zu sehr bevormunde. Daß andere ihn politisch nicht einordnen können, stört ihn nicht: „Ich bin nicht mehr für Etiketten zu haben.“ Wenn er die Spritzenvergabe im Knast, die Einrichtung von Druckräumen oder die Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige befürworte, werde das für links gehalten, obwohl solche Forderungen auch von CDU-Gesundheitspolitikern kämen.

Früher, so Körting, habe er den aufbegehrenden Genossen in der SPD gesagt: „Wenn man jung ist, ist es einfach, links zu sein. Wenn ihr aber wie Harry Ristock auch noch im Alter von 50 Jahren einzelne linke Positionen vertretet, könnt ihr stolz auf euch sein.“ Er sei jetzt ungefähr so alt wie Harry Ristock zu dessen Zeit als SPD- Bausenator. „Ich glaube, daß ich noch eine ganze Reihe von linken Positionen vertrete.“

Seit neuestem steht im Amtszimmer des Senators ein Computer. Den Bericht der südafrikanischen Wahrheitskommission studierte er im Internet. Das Surfen hat er schnell gelernt. Von der Krawatte läßt er lieber die Finger. Eine Fliege mit Gummizug erfüllt die Kleiderordnung schließlich auch.

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