piwik no script img

Seance-fiction

Mutant im Songpelz: Beck schickt traditionelle Musikschichten als Flaschenpost ins Zeitalter der Postmoderne  ■ Von Thomas Groß

Immer nur auseinanderzufallen ist auf die Dauer auch nicht lustig. „I grow weary of the end“, singt Beck auf „Mutations“, der jüngsten Variante seiner selbst. Prompt hat er den gröbsten Rost abgeschlagen, die losen Teile neu verlötet. Und schon blitzt da, wo gerade noch postdadaistische Schrottliedskulptur war, wieder so etwas wie Highway-Chrom. Kurswechsel auf engstem Raum: In Becks Welt geht das, weil es eine Multitrack-Welt ist. Wer das Modell in den fünf Jahren seiner Marktreife verfolgt hat, weiß, daß es neben Schrott-Beck immer auch andere Spuren derselben Künstlerpersona gab. Multiples als Antwort auf den industriellen Formatzwang. Bisweilen schienen diese in Reserve gehaltenen Prototypen das Logo „Loser“, unter dem die Hauptstilmasse seit dem notorischen 84er Welthit daherschepperte, sogar vom Randstreifen aus überrunden zu wollen: Beck, der Session-Artist, der mit fiesen, kleinen Liedern wie „MTV Makes Me Wanna Smoke Crack“ gegen die jüngste Vergesellschaftung durch die Unterhaltungsindustrie anstank (aber natürlich nicht garantieren konnte, daß das Stück nicht genau dort lief). Oder Beck, der Songster, der seinen Cowboyhut vor der Tradition zog und ganz auf die Ausdruckskraft einer einzelnen Akustischen vertraute.

„Mutations“ ist auf den ersten Blick ein Ausbau dieses Traditions-Beck, der fahrende Sänger, nunmehr zum Prachtnomaden gewandelt. Alles wirkt wie alte Schule: kein Sampling-Gehäcksel, keine harschen Improvisationseinlagen und mutwilligen Strophenverwüstungen – quäle nie 'nen Song zum Scherz... Statt dessen epischer Atem, Harmonien, die das geradeheraus gestrummte Fünf- bis Sieben-Akkord-Schema intakt lassen, Arrangements, die luxuriös und breit darüber ausgelegt sind. Das knirscht und knittert an der Oberfläche nicht mehr, das scheint den langgeübten Widerstand gegen die Welt des Schönklangs aufgegeben zu haben. Ich hab' dich behandelt wie eine rostige Klinge, singt Beck, und: „Its such a selfish way to lose“, als wäre er – in Antwort auf den „Loser“ – endlich angekommen bei diesem „Self“, in der Mea-culpa-Welt der Sünder und Spätheimkehrer, die schon immer nichts anderes wollten, als in den Hafen wahrer Werte einzulaufen. So sieht das aus. Bloß – November, November! –: Gerade diese neueste Prächtigkeit ist sein Haken für das alte 98.

Wie wenig die Platte tatsächlich ins laufende Format paßt, beschreibt die Geste des Majors Geffen, der „Mutations“ zwar ins Programm nahm, aber verschämt als Zwischenwerk führt, bis endlich wieder „richtig“ gesampelt wird. Doch auch die Songs selbst zittern bei näherem Hinhören über einem Abgrund reaktiver Nervosität. Zwischen den patinierten Blues- und Folkzeilen, die sie im einigermaßen geordneten Rückzug mit sich führen, kommentieren sie eine Spanne von weniger als zehn Jahren, eine Zeit, in der sich die Hörgewohnheiten so grundsätzlich geändert haben wie zuvor in dreißig Jahren nicht. Als Beck Mitte der Neunziger aus einer Vorstadt von L.A. in die veröffentlichte Welt platzte, wurde er noch als unwahrscheinliche Versöhnergestalt zwischem dem im Niedergang begriffenen Imperium des Rock und neuen, digitalen Kleinreichen begrüßt. Er machte seine Sache gut, indem er zugleich schonte und schredderte. Inzwischen haben sich die Aufmerksamkeitsspannen soweit verringert, daß der normale Konsument bei zuwenig Stilangeboten pro Minute automatisch weiterswitcht. Und Beck reagiert darauf, indem er seinen Liedern eine Extraportion Lazyness implantiert. Ein Vollmilchgesicht auf der Suche nach der verlorenen Zeit – die Freiheit nehm' ich mir!

„Oh hungry days / In the footsteps of fools / Gazing alone through sex-painted windows / Dredging the night / Drunk libertines stink like colognes / From a new-fangled wasteland“ – das ist der Blues eines Post-Slackers, der von einer Party Abschied nimmt, die er so nie wollte. Als Mutant im Songpelz sucht er den Anschluß an ältere musikalische Schichten, die er mit der Bedenkenlosigkeit des Zappers angreift. Ländliche Soulfood-Szenen kommen vorbeigezogen. Die ewig gute Beatles-Melodie klimpert herauf. Syd Barrett lacht unter seiner Narrenkappe. Sogar eine brasilianische Tropicalismo-Phantasie wird von Beck und Band festlich heiter begangen. Und immer wieder die „Bottle of Blues“, die als historische Flaschenpost einfach so herumliegt...

Beck macht sie auf, auch wenn er weiß, daß er viel zu jung ist für die Botschaften, die er daraus empfängt. Weil er das weiß, ist er aber auch mehr als ein Stimmenimitator. Beck-Platten haben etwas von einer äußerst stilvollen Geisterbeschwörung. Die Stimmen der alten Sänger, die ihrerseits Stimmen wiedergeben, die sie einmal gehört haben – Beck zitiert sie herbei, doch er respektiert sie auch. Von beiden Welten nimmt er sich das Beste: Von der Tradition die Würde historischer Ausdrucksformen, von der Gegenwart das Recht, diese zu mischen, zu brechen, bei Bedarf eben auch ganz zu lassen. Und er tut dies im ungebrochenen Glauben an die Möglichkeit, eigene Kontexte zu setzen. Zumindest in dem Punkt ist er ein Erbe des amerikanischen Traums: Beck glaubt an eine Individualität, die sich im Arrangement verwirklicht. Deshalb ist er kein Plünderer, eher ein komplexer Bewahrer. Er rettet Trümmer älterer Vorstellungen von Authentizität in die postmoderne Welt.

Weil die Luft für derlei Experimente aber die dünnste ist, summen und brummen die jüngsten Beck-Lieder daher wie die „Lazy Flies“, denen er eines davon gewidmet hat. Beck, der Enkel eines Fluxuskünstlers, ist ein musikalischer Situationist. Er möchte, daß alles im Fluß bleibt wie ein Scherz unter Freunden nachts um halb eins am Ende eines Sommertags, und das Tolle ist: Es gelingt sogar. „Mutations“ ist die heiterste, traurigste, schönste, bodenloseste Platte dieses verdämmernden Jahres. Morgen sehen wir uns in einem anderen Aggregatzustand wieder.

Beck: „Mutations“ (Geffen)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen