: Kein Schampanja in Alemanja
■ Keine mitleidige Migrantenliteratur: Nach „Kanak Sprak“ legt Feridun Zaimoglu mit „Koppstoff“ eine Sammlung mit Sprechweisen in Deutschland lebender Türkinnen vor
Was für ein Sound! Big Beat, großmäulig, wortgewaltig, kraftvoll und wütend. Eigentlich müßte man die 26 stilisierten Monologe türkischer Frauen der zweiten Generation, die Ferdinand Zaimoglu unter dem Titel Koppstoff gesammelt hat, als szenische Lesung auf die Bühne bringen. Die Künstlerin Gül, 21, etwa ist gegen die „Orientalklatsche ihres homelands“ wie Aynou, 34, gegen den „Marmorfick des Alemanbubis“, der die „Kanak-Frau“ für ein billiges Urlaubsland hält. „Ich scheiß auf Schampanja in Alemanja“, wie es die 20jährige Oya formuliert, ist der kernige Kernsatz von Koppstoff.
Weil der in Kiel lebende Autor in seinem Debüt Kanak Sprak ausschließlich Türkmänner zu Wort kommen ließ, wurde auf fast jeder seiner Lesungen die weibliche Sichtweise, die Sichtweise der Kanakas, eingeklagt. Zufallsbekanntschaften, eingesandte Manuskripte und längst fällige Gespräche mit Freundinnen bildeten dann die Grundlage für Zaimoglus dritte Textsammlung „vom Rande der Gesellschaft“ – wie der arg sozialpädagogische Untertitel lautet.
Dabei wehrt sich Zaimoglu ausdrücklich gegen jede mitleidige Migrantenliteratur, die in Deutschland lebende Türkinnen pauschal als Opfer, als „Kopftuch-Aysches“ stigmatisiert. Seine Strategie hat er sich von den Randgruppen der amerikanischen Westküste abgeschaut. Wie sich etwa N.W.A. selbstbewußt Niggaz With Attitude nannten, entwendet auch Zaimoglu der rassistischen Rede das Vokabular, indem er es zur scheinbaren Selbststigmatisierung anwendet. „Kanake, Kanake, Kanake“ – irgendwann hat das Schimpfwort seine Bedeutung verloren.
Damit sind manche Vorredner der zweiten Generation, die sich gerade aus der Subkultur herausbewegt, ganz und gar nicht einverstanden. „Türken als Kanaken zu bezeichnen – das muß nicht sein“, setzt etwa der Hamburger Filmemacher Fatih Akin auf Vermittlung. „Meine Eltern könnten das nicht ertragen.“ Gegen solche liberalen Strategien wettert Zaimoglu, der den Tonfall der Jugendzentren ebenso beherrscht wie den des Feuilletons. Kürzlich kanzelte der den Grünen „Vorzeigetürken“ Cem Özdemir rundweg als „Spätzletürk“ ab. Mehr Malcolm X als Martin Luther King, wenn man so will. Insofern ist der Auftritt der türkischen Rap-Formation Da Crime Posse im Anschluß an die Lesung nur folgerichtig. Kanaken with attitude.
Volker Marquardt
Feridun Zaimoglu: “Koppstoff. Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft“, Rotbuch Verlag Berlin, 135 Seiten, 19,80 Mark
Lesung: morgen, 20 Uhr, Uni-Hauptgebäude, Flügel West, Edmund-Siemers-Allee
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