Öcalan läßt Türken über die Todesstrafe grübeln

■ Drohende Hinrichtung könnte die Auslieferung des in Rom inhaftierten Generalsekretärs der PKK nach Ankara verhindern. Kurden protestieren europaweit gegen die Festnahme ihres Chefs

Istanbul (taz) – Ein Gutes hat die Festnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan am letzten Freitag in Italien bereits bewirkt: In Ankara wird erstmals seit dem Putsch im Jahr 1980 ernsthaft über die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert.

Eine drohende Todesstrafe wäre ein Hindernis für die italienische Justiz, Öcalan in die Türkei abzuschieben. Zwar wurde die Todesstrafe in der Türkei seit mehr als zehn Jahren nicht mehr vollstreckt, jedoch besteht jetzt erstmals die Chance, im Parlament auch eine Mehrheit für ihre offizielle Abschaffung zu bekommen.

Tatsächlich weiß man aber in der Türkei, daß eine Auslieferung Öcalans nicht nur wegen einer drohenden Todesstrafe, sondern auch angesichts der türkischen Kurdenpolitik insgesamt in Westeuropa sehr zurückhaltend beurteilt wird. Zwar heißt es offiziell, wenn schon Rußland und Syrien Öcalan nicht mehr geschützt haben, wird doch wohl der Nato-Alliierte Italien nicht den Fehler machen, ihm Asyl zu gewähren. Inoffiziell ist man aber wesentlich realistischer. Ohne eine neue Politik gegenüber den Kurden werde sich die europäische Skepsis gegenüber der Türkei kaum verändern, lautet die weitverbreitete Einschätzung.

Unabhängig davon sieht der größte Teil der türkischen Öffentlichkeit jetzt die Zeit gekommen, seit Jahrzehnten überfällige Reformen im Südosten des Landes einzuleiten. Angefangen von der Aufhebung des Ausnahmezustandes über konkrete wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen bis hin zu kulturellen Zugeständnissen. Verschiedene Zeitungen forderten gestern, die kurdische Frage endlich beim Namen zu nennen und Konsequenzen zu ziehen. Dazu gehört das alte Projekt, einen kurdischen Fernsehsender zuzulassen und Kurdisch als zweite Unterrichtssprache zu akzeptieren. Alle diese Reformen setzen aber zumindestens eine handlungsfähige Regierung voraus.

Einen Tag vor der Festnahme Öcalans schien die amtierende Minderheitsregierung von Mesut Yilmaz aufgrund mafiöser Verstrickungen am Ende. Jetzt sieht es so aus, als hätte Öcalan Yilmaz erst einmal gerettet. Yilmaz wird zugute gehalten, daß durch den von ihm iniitierten Druck auf Syrien die Festnahme Öcalans erst ermöglicht wurde.

In der italienischen Regierung mehren sich unterdessen die Stimmen, Öcalan nicht an die Türkei auszuliefern. Der Vorsitzende der mitregierenden Kommunistischen Partei, Armando Cossuta, sagte: „Die italienische Regierung hat Öcalan als demokratische Regierung Asyl zu gewähren.“ Der Grünen-Politiker Stefano Boco sagte, Öcalan dürfe unter keinen Umständen an die Türkei ausgeliefert werden. Wie viele Demokraten glaube seine Partei, daß die PKK die große Mehrheit der Kurden in der Türkei repräsentiere.

In mehreren europäischen Städten versammelten sich am Wochenende Anhänger der PKK, um gegen die Verhaftung ihres Vorsitzenden zu protestieren. In Rom marschierten Hunderte Kurden vor das Militärkrankenhaus Celio, in das Öcalan nach seiner Verhaftung gebracht wurde. Nach Angaben des Europasprechers der PKK, Kani Yilmaz, ist Öcalan in den Hungerstreik getreten. Jürgen Gottschlich