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Böse fordert freie Hand für Abschiebungen

■ Unter Berufung auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts will Innenstaatssekretär Böse (CDU) Abschiebungen durchsetzen, auch wenn der Petitionsausschuß noch über sie berät. Anwalt: willkürliche

Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) will Ausländer zukünftig abschieben können, ohne auf das Votum des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses zu warten. Dazu zwinge ihn ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom September vorigen Jahres. Das teilte Böse dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses, dem SPD- Abgeordneten Reinhard Roß, in einem Schreiben mit, das der taz vorliegt.

Die Ausländerbehörde müsse Ausländer unverzüglich abschieben, interpretiert Böse das Urteil, wenn über die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung entschieden wurde. Davon könne, so Böse, auch eine Petition die Ausländerbehörde nicht entbinden.

Allein in dieser Legislaturperiode haben sich mehr als 200 Bittsteller in ausländerrechtlichen Fragen an den Petitionsausschuß gewandt. Solange dieser nicht entschieden hat, werden die Bittsteller nicht abgeschoben. Das geht auf eine freiwillige Vereinbarung der Innenverwaltung mit dem Parlament aus dem Jahre 1993 zurück. Ähnliche Vereinbarungen gibt es in fast allen Bundesländern. Aber auch vor 1993 schuf die Verwaltung in der Regel keine vollendeten Tatsachen, bevor der Parlamentsausschuß sein Votum abgab.

Der Petitionsausschuß ließ sich bei Entscheidungen über Abschiebungen zwischen zwei Monaten und zwei Jahren Zeit. Letzteres seien jedoch Extremfälle, so Ida Schillen von den Bündnisgrünen. Dazu komme es etwa, wenn die Ausländerbehörde entgegen der Rechtsprechung gleichgeschlechtlichen binationalen Paaren kein Aufenthaltsrecht zuspreche.

Der spektakulärste Petitionsfall ist der einer zwölfjährigen Vietnamesin. Wie die taz berichtet hatte, sollte das Mädchen im April 1997 allein nach Vietnam abgeschoben werden. Durch die Petition wurde die Abschiebung zunächst verhindert. Acht Monate später war das zwischenzeitlich adoptierte Mädchen deutsche Staatsangehörige. In anderen Fällen gaben Petitionen nichtdeutschen Männern Zeit, ihre schwangere deutsche Partnerin zu heiraten und damit ein Aufenthaltsrecht zu erlangen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in dem Urteil drei Vietnamesen, die unabweisbar ausreisepflichtig waren, von Vietnam aber nicht zurückgenommen wurden, eine ausländerrechtliche Duldung zugesprochen. Darauf bezieht sich Böse. Rechtsanwalt Dieter Kierzynowski, der die Vietnamesen bei ihrer Klage gegen die Innenverwaltung vertrat, hält Böses Argumentation juristisch für unhaltbar. In dem Urteil ginge es um eine ganz andere Gruppe von Ausländern, als um diejenigen, die Petitionen schreiben, erklärt der Anwalt. „Petitionen stellen in der Regel Leute, bei denen die Ausländerbehörde einen Ermessensspielraum hat.“ Diese könne die Leute abschieben, könne ihnen aber auch ein humanitäres Bleiberecht gewähren. „Kuno Böse zitiert unvollständig und willkürlich“, so Kierzynowski. Böse will sich dazu nicht äußern, solange die Verhandlungen nicht abgeschlossen sind.

Die PDS-Abgeordnete Karin Hopfmann wirft Böse vor, „mit einem juristischen Trick den Petitionsausschuß ausschalten“ zu wollen. Es bestehe die Gefahr, daß die Legislative nicht mehr die Exekutive kontrolliert, „sondern die Innenverwaltung dem Parlament auf der Nase herumtanzt“. Ida Schillen fordert statt weniger mehr Kompetenzen für den Petitionsausschuß. Er solle grundsätzlich öffentlich tagen, so daß auch Sachverstand von Gutachtern eingeholt werden könne. Marina Mai

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