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■ Film ScriptMovies that Matter

Leider kommt niemand daher und gibt ihr, wie sie es träumt, „vierzig Millionen Dollar, um einen Film über bisexuelle Rockstars zu machen oder über einen sympathischen Pädophilen“. So wird Christine Vachon eben auf ihre bisherige Tour weitermachen. Denn selbstverständlich hat sie diese Filme produziert. Demnächst kommen sie in die deutschen Kinos. Allerdings, Todd Haynes „Velvet Goldmine“ oder Todd Solondz' „Happiness“ mußten mit sehr viel weniger Geld auskommen. Wie man unter solchen Umständen Filme herstellt, erfährt man nun in Christine Vachons „Shooting to Kill. How an Independant Producer Blasts Through the Barriers to Make Movies that Matter“.

Das Buch ist ein Handbuch. Ein Buch, das man aufschlagen kann, um nachzuschauen, wie eine Kalkulation aussieht, welche Posten man berücksichtigen muß, oder wie man sich mit der Schauspielergewerkschaft arrangiert. So war es zum Beispiel im Falle von Larry Clarks „Kids“ ausgesprochen nützlich, das Drehbuch bei der Gewerkschaft zu vergessen. Nur wenige Tage später kam das Buch mit der Notiz zurück, der Stoff sei dermaßen ekelhaft, daß die Gewerkschaft damit nun gar nichts zu tun haben möchte. So war der Weg frei, mit Cloe Sevigny zu arbeiten, die nicht der Screen Actors Guild angehört.

Was das Buch, das die Produzentin von Killer Films gemeinsam mit dem Filmkritiker David Edelstein schrieb, so ausgesprochen lesbar und erhellend, aber auch amüsant und spannend macht, sind die Einfügungen von Vachons Tagebuchnotizen zu Filmen wie „Safe“, „Kids“, „I shot Andy Warhol“, „Happiness“ oder „Velvet Goldmine“ in die klar angelegten Kapitel zur Drehbuchentwicklung, zur Kalkulation und Finanzierung, zum Filmteam, zum Dreh, zur Endproduktion oder zum Verleih. So trifft man auf die lachhaftesten Anekdoten, aber auch die großen Merksätze. Einer heißt: „AND NEVER compare your film to Mean Streets.“ Selbstverständlich ist Scorseses Film brillant, aber im Ende hat er mehr Schaden angerichtet als Gutes getan: Vachons Resümee angesichts Hunderter schrecklicher „guys from the neighborhood“-Scripts, die sie ständig zu lesen bekommt. Ihr eigener großer Merksatz heißt: „I don't want to make movies that are like other movies.“ Fände er größere Verbreitung, gäbe es mit Sicherheit mehr interessante Filme.

So ist Todd Solondz ihr Filmemacher schlechthin. Nach dem Erfolg von „Welcome to the Dollhouse“ waren eine Menge Studios hinter ihm her, um ihn mit großen Budgets und richtigen Stars zu ködern. Aber was tat er? Er setzte sich hin und schrieb eine Pädophilengeschichte.

Es gibt ein paar praktische Dinge, für die Christine Vachon heftig plädiert. Zum Beispiel, Lesungen von Drehbüchern zu organisieren, damit der Autor merken kann, was in seinem Buch nicht funktioniert. Oder die Sache mit dem Storyboard. Nicht nur läßt es sich damit besser kalkulieren. Nein, vor allem am achtundzwanzigsten Drehtag, wenn man vor lauter Streß nicht mehr weiß, was man nun ausgerechnet mit dieser Szene sagen wollte, sei es ausgesprochen nützlich, auf das Bilderbuch mit den Einstellungen zurückgreifen zu können, das man einmal ganz am Anfang, noch bei vollem Verstand, angelegt hat.

Nützlich ist es auch, auf Filmfestivals zu gehen. Eine hübsche Anekdote ist die von den Kollegen von „Good Machine“. 1993 versuchten Tod Hope und James Schamus verzweifelt Ang Lees „The Wedding Banquet“ zu verkaufen. Sie hatten noch zweitausend Dollar und konnten entweder ihr Büro einen weiteren Monat offen halten, oder sie schlossen es, nahmen das Geld und flogen nach Berlin. Sie flogen nach Berlin. Und unterzeichneten Verträge im Wert von drei Millionen Dollar. Laut Variety war „The Wedding Banquet“ mit 4.000 Prozent Rücklauf auf die Investitionen am Ende der profitabelste Film des Jahres 1993.

Eher unwahrscheinlich, daß sie damit reich wurden. Auch das erfährt man in „Shooting to Kill“. Während noch vor zehn Jahren ein erfolgreicher Indie- Film sein Geld mit wenigen Kopien über einen langen Zeitraum machen konnte, müssen heute wegen der kurzen Kinolaufzeiten die Gewinne sofort in Hunderte von Kopien investiert werden. Ob die sich dann wirklich rentieren, steht dahin. Und was man noch erfährt und doch kaum glaubt: Kritiker können Filme killen. Jedenfalls in den großen US-amerikanischen Städten. Eine schlechte Kritik in der New York Times, und der Film ist ruiniert. Manchmal allerdings, so Vachon, helfen dagegen massive Anzeigenkampagnen – wiederum in der New York Times. (Hach, warum ... naja, lassen wir diesen Gedanken ungeschrieben.) bw

Christine Vachon with David Edelstein: „Shooting to Kill. How an Independant Producer Blasts Through the Barriers to Make Movies that Matter“. Avon Books, New York 1998, 335 S., Paperback, 12 Dollar

P.S. Am besten kommt man an das Buch über die Internetbuchhandlung www.amazon.com . Mit vier Wochen Lieferzeit ist schon zu rechnen.

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