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Der Tod kommt, wenn er kommen soll

„Uns kann eigentlich nichts mehr auseinanderbringen. Und dann kam das eigentlich Trennende, nämlich der Tod“ – schreibt die Schriftstellerin Herrad Schenk über den Tod ihres Lebensgefährten. Ihren Kummer hat sie sich von der Seele geschrieben. Nachzulesen ist es in ihrem jüngst erschienenen Buch „Das Haus, das Glück und der Tod“. Dort erzählt sie auch, wie es war, plötzlich wieder allein zu sein. Über Einsamkeit, Schicksal, Trauerrituale, fehlende Geborgenheit und die Schwierigkeit, das Unfaßbare niht begreifen zu können, sprach sie mit  ■ Annette Garbrecht

taz: Frau Schenk, am meisten berührt hat mich der Grundton Ihres Buches: Sie hadern nicht, Sie klagen nicht an. Sie gehen fast nüchtern bis selbstironisch mit sich um. Sie schreiben über einen Traum: „Er“ – Ihr Mann – „sagte freundlich: ,Mach es mir nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist.' Und ich dachte: Er hat recht. Du mußt mit dem Heulen aufhören, damit es nicht so traurig für ihn ist.“

Herrad Schenk: Viele Menschen, die einen ähnlichen Schock in ihrem Leben erlebt haben, kennen das Gefühl, daß man wie von sich selbst abgespalten ist. Man zerfällt geradezu: in einen Teil, der vom Geschehen erfaßt und weggespült wird, und einen reflektierenden Teil, der daneben steht und denkt: Jetzt wollen wir doch mal sehen, was sie macht! Diese Spaltung hilft sonderbarerweise, und im Laufe der Zeit wachsen die Teile wieder zusammen.

Sie haben 24 Jahre mit Ihrem Mann zusammengelebt, sein Tod kam aus heiterem Himmel. Dennoch spekulieren Sie in Ihrem Buch über Vorzeichen und Hinweise auf dieses Ereignis. Sind Sie abergläubisch?

Ich bin sicher ein eher rationaler Mensch, der dem Aberglauben in seinem Leben nur wenig Platz gibt. Aber ich bin inzwischen sehr viel vorsichtiger geworden in meinem Urteil über Dinge, die rational nicht erklärbar sind. In unserem Leben in diesem Haus, in der Stimmung der letzten Tage war deutlich zu spüren, daß etwas Schlimmes bevorstand. Wir haben das beide wahrgenommen. Und das Unerklärlichste ist, daß wir beide, mein Mann und ich, vorwegnehmend von diesem Tod als Trennung geträumt haben. Ich kann das rational nicht erklären.

Wie denn dann?

Möglicherweise haben wir gespürt, daß irgend etwas heranzieht, so wie man ja auch das Aufkommen eines Gewitters atmosphärisch wahrnehmen kann. Bei dem Spiel mit Vorzeichen und Aberglauben in dem Buch ist einiges auch ironisch gemeint: etwa die schwarze Katze im leeren Haus. Ich will damit ausdrücken, daß die Grenzen fließend sind – zwischen dem, was man als abergläubisch weglächeln kann, und dem, was spürbar vorhanden ist.

Wir sind es gewohnt, beim Tod eines Menschen nach den Ursachen zu fragen: nach ungesunder Lebensweise, Streß, krankmachenden Lebensbedingungen. Sie beschäftigen sich mit diesen Fragen nur am Rande und halten Ihre Antworten bewußt in der Schwebe. Ist das Schicksalsgläubigkeit?

Die Warum-Frage stellen sich bestimmt alle Menschen, denen ähnliches passiert. Man fragt sich, ob man etwas hätte verhindern können, wenn man die Warnungen gehört und verstanden hätte. Doch diese Fragen sind sinnlos, auch wenn man sie am Anfang nicht abstellen kann. Viel besser ist es, daran zu glauben, daß es eine vorherbestimmte Stunde gibt, die wir nicht kennen. Ich habe da sehr altertümliche Bilder vor Augen, beispielsweise vom Buch des Lebens.

Das hört sich sehr fatalistisch an.

Vielleicht. Aber ich finde es besser, dieses zu glauben, als zu meinen, der Tod sei durch eigenes Fehlverhalten verursacht. Denn der Umkehrschluß dazu hieße doch: Wenn ich alles richtig mache, mich richtig ernähre, meine Psyche gut pflege, meine Aggressionen rauslasse – dann kriege ich keinen Krebs und keinen Herzinfarkt und habe ein Recht darauf, bei bester Gesundheit 94 zu werden.

Was spricht dagegen?

Ich halte das für eine typische Wahnidee der Moderne. Demgegenüber ist mir die mittelalterliche Vorstellung vertrauter geworden: Der Tod kommt, wenn er kommt, wenn er kommen soll. Und es liegt an uns, bis dahin so zu leben, daß es ein vollendetes Leben ist, ein rundes Leben. Nachträglich konnte ich auch das Leben meines Mannes, obwohl er relativ jung gestorben ist, als ein rundes Leben, insofern auch als ein glückliches Leben sehen.

Sagen Sie das als christlich denkender Mensch?

Nein, ich bin nicht kirchengebunden, ich habe keine konfessionelle Frömmigkeit. Trotzdem war die Begegnung mit diesem Tod eine religiöse Erfahrung. Nicht in dem Sinne, daß ich mir jetzt einen väterlichen Gott vorstelle, der schon weiß, was er tut und warum er es tut. Es ist vielmehr ein grundsätzliches Akzeptieren der Gesetze unserer Existenz, wie es sich in allen Religionen ausdrückt, am stärksten vielleicht im Buddhismus mit seiner Betonung der Vergänglichkeit.

„Nimm dich nicht so wichtig“ – heißt es mehrfach in Ihrem Buch. Ein ziemlich altmodischer Satz, wo wir doch alle immerzu mit uns selbst, unserer Karriere, unserer Selbstverwirklichung, unserer Individualität beschäftigt sind.

Schon der Einzug in dieses uralte Haus hat uns beiden Erfahrungen eröffnet, die ein Gegengewicht darstellten zu der Hochbetonung des Individualismus, den wir vorher gelebt haben. Wir waren beide in einer Lebensphase, in der der unaufhaltsame Glaube an die eigene Karriere kein lebensfüllendes Programm mehr war. Das Haus repräsentierte die Geschichte vieler Generationen, die wir auch neugierig recherchiert haben. Darin hatten sich viele, auch schwere Schicksale abgespielt, und man spürte das in der Atmosphäre. Insofern hat uns das Leben hier auf den Gedanken an die Vergänglichkeit und den Tod vorbereitet.

Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, wie man in dem Gedanken Trost finden kann, daß andere Menschen auch gestorben sind.

Also, zunächst findet man bei überhaupt nichts Trost. Man fühlt sich nur in Stücke gerissen, als hätte einen der Blitzschlag getroffen. Aber schon kurze Zeit nach dem Schock treten gelegentlich merkwürdige Stimmungen auf; man hat das Gefühl, Einblick gewonnen zu haben in etwas Großes, in das Wichtigste überhaupt, das die anderen Menschen auch wissen müßten, aber in ihrem Alltag oft vergessen. Die Nähe zu diesem Geheimnisvollen bewirkt eine Art Schweben über der eigenen Existenz, gibt das tröstliche Gefühl: Nimm dich nicht so wichtig.

Und das hilft, wieder auf das eigene Lebensgleis zu kommen?

In gewisser Weise ja. Vor einer Generation, während des Krieges, mußten das noch ganz viele Menschen erleben; der plötzliche Tod passierte rechts und links und überall, und man hatte wahrscheinlich gar keine Zeit, dem individuellen Schicksal nachzuhängen. Wir lernen heute in unserer Kultur, uns als Individuum wahrzunehmen, uns nur für unsere individuelle Entwicklung zu interessieren. Wir lernen aber nicht mehr, uns als Glied in einer Kette von Ereignissen zu begreifen. Ich glaube, daß es sehr hilfreich sein kann zu denken, das Leben als solches kommt und geht und fließt vorbei; wichtig ist nicht, daß ich sterbe, sondern wie ich gelebt habe, bis ich sterbe.

Heißt das nicht, den Tod zu leugnen?

Nein, ganz im Gegenteil, ich nehme den Gedanken an den Tod mit hinein in mein Denken. Die Ausgrenzung des Todes in unserer Gesellschaft – in Krankenhäuser, Altersheime, Hospize – hat ja etwas mit Angst zu tun. Der Tod paßt einfach nicht in unsere positive Lebensauffassung des Spaßhabens. Wir gestehen uns zwar Hängephasen zu, aber immer nur in dem Gefühl: Eine Krise steht man durch, damit man sich weiterentwickelt, damit hinterher alles noch besser ist und man noch toller ist als vorher. Der Tod paßt nicht in dieses Konzept.

In Vergessenheit geraten ja auch mehr und mehr Trauerrituale und Riten des Umgangs mit Trauernden. Haben Sie sich damals alleingelassen gefühlt?

Man fühlt sich durch so ein Ereignis zunächst ganz furchtbar isoliert, herausgeschleudert aus den alltäglichen Bedingungen des Lebens. Dieses Gefühl hat man allen gegenüber, Freunde und Verwandte eingeschlossen. Aber dann habe ich erlebt, daß die alten Bräuche hilfreich sind, die hier auf dem Dorf noch intakt sind. Die Menschen aus dem städtisch-bürgerlichen und intellektuellen Milieu haben sich da viel schwerer getan. Die Unfähigkeit ging so weit, daß einige den Kontakt ganz vermieden haben, weil sie nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten.

Das ist der Fluch des individualistischen Kampfes gegen alle Riten: Wir denken immer, wir müßten unsere Gefühle ganz empfinden und ganz spontan ausdrücken. Und wenn diese Gefühle zu groß sind oder man überwältigt ist von Hilflosigkeit – dann macht man gar nichts.

Jetzt – so schreiben Sie – sind Sie wieder „auf dem freien Markt menschlicher Beziehungen“. Was heißt das?

Damit will ich einem Gefühl großen Ungeschütztseins Ausdruck geben. Ich habe 24 Jahre mit meinem Mann gelebt. Wir hatten, nach vielen kämpferischen Jahren, endlich die Gewißheit: Uns kann eigentlich nichts mehr auseinanderbringen. Und dann kam das eigentlich Trennende, nämlich der Tod. Und damit war ich aus dieser Geborgenheit herausgeworfen in eine große Leere.

Jetzt, nach fast drei Jahren, stelle ich fest, daß eine neue Phase beginnt, ich entwickele neue Perspektiven für mein Leben. Die Trauerphase ist für jeden Menschen unterschiedlich lang. Und die Rückschläge und das Fallen in tiefe Löcher geht über Jahre weiter, auch wenn die Ausschwünge der Lebensstimmung nicht mehr ganz so stark sind, die Löcher nicht mehr ganz so tief.

Aber es ist wichtig zu akzeptieren, daß man nie wieder die Person wird, die man einmal war.

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