: Eine Totenfeier mit Christy Moore Von Ralf Sotscheck
Es war ein rauschendes Fest, auch wenn es einen traurigen Anlaß hatte: Der 22jährige Diarmuid O'Leary aus Dublin war bei einem Feuer in einer Glasgower Pension ums Leben gekommen. Am Nachmittag hatte er noch mit seinem Vater, dem Schauspieler Jer O'Leary, im Fußballstadion die schottische Meisterschaft seines Vereins Celtic Glasgow gefeiert.
Eine Beerdigung ist teuer, vor allem, wenn man die Hauptperson aus dem Ausland einfliegen muß. Zwar ist Jer O'Leary bei fast allen Filmen dabeigewesen, die in Irland gedreht wurden, aber meist nur in kleinen Rollen mit kleiner Gage. So organisierten seine Freunde einen „Wake“, ein Totenfest, wie es in Europa wohl nur die Iren begehen – keine Trauerfeier, sondern eine Zelebrierung des Lebens des Verstorbenen mit Musik und Tanz und vielen Getränken, bei der stets bedauert wird, daß der Gefeierte nicht dabei sein kann.
Bei Diarmuids „Wake“ mußte Eintritt gezahlt werden, um die Begräbniskosten zusammenzubekommen. Doch wenn es um einen guten Zweck geht, sind die Iren unschlagbar: Jeder kennt irgendeinen mehr oder weniger berühmten Künstler, den man auf ein Benefizkonzert mitschleppen kann – in diesem Fall Liam O'Maonlai, der Sänger der „Hothouse Flowers“, Jim Kelly, der Bruder des „Dubliners“-Begründers Luke Kelly, der sich zu Tode gesoffen hat, und Christy Moore, der gerade noch rechtzeitig dem Alkohol abgeschworen hat und auf Rente gegangen ist.
Sein Auftritt sollte bis zur letzten Minute geheimgehalten werden, damit nicht die halbe Nation vor dem kleinen Club der Lehrergewerkschaft auftauchte, denn Christy Moore ist in Irland eine Legende. Es war das offenste Geheimnis des Jahres: Mir verriet es ein Bekannter unter dem Siegel der Verschwiegenheit, unter dem ich es an ausgewählte Freunde weitergab. In Irland kann man nichts geheimhalten, weil sich alle irgendwie kennen, und so standen Hunderte vor dem Club und kamen nicht hinein.
Die drinnen waren, erlebten Moore in alter Form, genauso grimmig, genauso streng wie früher. Zunächst ließ er die Bar vorübergehend schließen, denn er singt nicht, wenn die Gäste an die Theke drängen, zumal er selbst keinen Tropfen anrühren darf nach seinem Herzinfarkt. Er begann mit „Joxer zog nach Stuttgart“, einem Lied über den größten Triumph der irischen Fußballer, den Sieg über die Engländer bei der Europameisterschaft 1988. Das ist lange her, doch als Ray Houghton das Leder in der dritten Strophe erneut im englischen Netz versenkte, tobte der Saal, als wäre das Tor soeben erst gefallen.
Wo sich Menschen zu einem wohltätigen Zweck versammeln, sind Politiker nicht weit. Während das Grußwort des irischen Premierministers Bertie Ahern eher reserviert aufgenommen wurde, erhielt Gerry Adams, Präsident der IRA-Partei Sinn Féin, für sein Telegramm stürmischen Applaus. Kein Wunder, ist der Schlachtgesang von Celtic, dem von irischen Mönchen gegründeten Verein, doch das IRA-Lied „The Fields Of Athenry“, das zum Schluß des „Wakes“ alle Celtic-Fans – und es gab keine anderen – sangen. „Es ist eine Abschiedsfeier, wie man sie sich nur wünschen kann“, sagte Jer O'Leary. „Sie hätte Diarmuid gefallen.“
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