■ Wye-Abkommen: Israel beginnt widerwillig mit dem Rückzug: Wie sich Netanjahu verkalkulierte
Ein Mann diktiert sein Testament: Soundsoviel seiner Frau, soundsoviel seinen Kindern, soundsoviel seinen Freunden. Und als letzter Paragraph: „Im Falle meines Todes wird dieses Testament ungültig.“
So ungefähr hat sich auch Benjamin Netanjahu bei den Verhandlungen in Wye verhalten. Wenn er sich auf dem Weg in die USA Notizen gemacht hätte, sie würden so ausgesehen haben: „Wenn es geht, nichts unterschreiben. Wenn das nicht geht, unterschreiben und nicht einhalten. Wenn das auch nicht geht, sowenig wie möglich einhalten.“
Jetzt sind wir bei der dritten Möglichkeit. Der erste winzige Rückzug findet statt, aber noch im letzten Augenblick versuchen Netanjahus Offiziere zu mogeln. Einseitige „kleine Veränderungen“ werden vorgenommen, um den Siedlern zu gefallen.
Das Wye-Abkommen ist mit Bedacht so strukturiert, daß der israelische Rückzug in kleine Schritte aufgeteilt ist, und für jeden Teilrückzug gibt es Bedingungen. So kann Netanjahu jederzeit behaupten, daß die Palästinenser irgendeine Verpflichtung nicht komplett erfüllt hätten – und den Rückzug stoppen.
Wer entscheidet dann? Die Amerikaner. Das ist eine Neuigkeit, die wichtigste, die in Wye zustande kam. Arafat hat mit unglaublicher Geduld erreicht, daß die USA nicht mehr einseitig nur Israel unterstützen. Daher hängt jetzt alles von Clinton ab. Netanjahu wäre nie nach Wye gekommen, wenn ihn Clinton nicht dazu gezwungen hätte. Netanjahu, in den USA aufgewachsen, hält sich für einen unübertroffenen Kenner der US-Politik – doch diesmal hatte er sich verrechnet. Er glaubte, daß die Lewinsky-Affäre Clinton so geschwächt hätte und die Macht seiner ultrarechten Bundesgenossen im Kongreß so gewachsen wäre, daß er Clinton düpieren könnte. Doch das Gegenteil war der Fall: Gerade die Lewinsky-Affäre zwang Clinton, einen außenpolitischen Erfolg vorweisen zu können. Und die folgenden Wahlen stärkten Clinton und schwächten die Republikaner.
Wenn das so weitergeht, wird Netanjahu den ganzen in Wye vereinbarten Rückzug, wenn auch mit Ach und Krach, vollziehen müssen. Ungefähr 40 Prozent des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens werden mehr oder weniger in palästinensischen Händen sein. Damit sind zwei Präzedenzfälle geschaffen: Zum ersten Mal vollzieht eine Likud-Regierung eine Teilung des Landes, und zum ersten Mal vollzieht sich ein Rückzug ohne Riesenkrawall.
Das ist ein Schritt vorwärts, und jeder Schritt vorwärts ist wichtig. Aber die wirkliche Auseinandersetzung steht noch bevor. Uri Avnery
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