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„Ein politischer Streik? Das ist doch verboten“

■ Vorbild Deutsche Bahn AG: Mit der Privatisierung baut das Unternehmen 190.000 Stellen ab

Berlin (taz) – Während auf den Bahnhöfen in den Nachbarländern teilweise schon seit Sonntag abend Chaos herrschte, meldeten die meisten deutschen Stationen am Montag nur die üblichen Verspätungen. Lediglich in den Grenzgebieten mußten einzelne Reisewillige in Busse umsteigen oder ganz zu Hause bleiben.

„Wir konnten nicht am Aktionstag teilnehmen“, sagte Hubert Kummer, Pressesprecher der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED). Schließlich habe es sich um „einen politischen Streik“ gehandelt, und der sei in Deutschland illegal – Arbeitsniederlegungen sind nur erlaubt, wenn es um konkrete Lohn- oder Tarifforderungen geht. Kummer: „Aber selbstverständlich haben wir uns mit den Aktionen der Kollegen solidarisch erklärt.“

Allerdings sind die deutschen Eisenbahner von der Liberalisierungspolitik der Europäischen Kommission aktuell „auch nicht so stark betroffen“, weil die Privatisierung des Schienenverkehrs in Deutschland, ähnlich wie in Großbritannien, bereits viel weiter fortgeschritten ist als in Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Griechenland oder Luxemburg. Die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn verschmolzen bereits 1992 zur Deutschen Bahn AG (DB AG), 1993 übernahm der Staat die Schulden in Höhe von 80 Milliarden Mark, und 1994 wurde das neue Unternehmen privatisiert. Ausdrückliche Bedingung damals: Da sie öffentliche Infrastrukturaufgaben wahrnehme, dürfe die DB AG auch künftig nicht ausschließlich profitorientiert agieren.

Die GdED stimmte ohne großen Widerstand zu, weil sie glaubte, in den Verhandlungen „sozialverträgliche Lösungen“ durchgesetzt zu haben, obwohl die Beschäftigten ihren Beamtenstatus verloren und die Gehälter gesenkt wurden. Ein rasanter Personalabbau begann, von 343.000 Arbeitsplätzen im Jahr 1994 sollen in zwei Jahren nur noch rund 150.000 übriggeblieben sein.

Aber auch die Fahrgäste, nun Kunden genannt, kamen nicht ungeschoren davon. Während die Preise stiegen, mehrten sich die Meldungen über die Stillegung von sogenannten unrentablen Strecken vor allem im Osten der Republik – das rund 40.500 Kilometer umfassende Netz schrumpfte um mehrere tausend Streckenkilometer, weitere Streichungen sind geplant. bw

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