Per pedes vom Straßensklaven zum Unternehmer

■ Unabhängiger Kurierdienst geht an den Start: Radboten wollen eigene Firma mit vernünftigen Löhnen und Arbeitsbedingungen eröffnen. Florierendes Hamburger Kollektiv dient als Vorbild

Radkuriere gelten oft als Inbegriff des neuen Dienstleistungsproletariats. Für zehn Mark pro Stunde riskieren sie ihre Gesundheit im Straßenverkehr – als Scheinselbständige ohne soziale Absicherung. Fahrradbote Rainer Haage ist einer von denen, die sich mit diesen Zuständen in der Branche nicht länger abfinden wollen. Für morgen lädt er zu einer Versammlung ein, um eine Firma zu gründen, die den FahrerInnen selbst gehört.

Seit über einem Jahr praktiziert der „Inline Kurier Verein“ diese Idee bereits mit Erfolg in Hamburg. Der Betrieb gehört rund 170 Boten, die Pakete, Briefe und schwere Kisten durch die Hansestadt transportieren. Viele von ihnen haben ihre vormalige Rolle als abhängige Kuriere gegen die Position als selbständige Unternehmer eingetauscht.

„Alle wichtigen Entscheidungen trifft die Fahrervollversammlung“, sagt Inline-Vorstand Jan Rieker. Die Mitglieder legen zum Beispiel die Preise für die Transportfahrten fest und sorgen dafür, daß die Zahl der Beschäftigten in einem vernünftigen Verhältnis zur Nachfrage nach ihrer Leistung steht. Dadurch nehme ein durchschnittlicher Radbote zwischen 30 und 40 Mark pro Arbeitsstunde ein, während sich die FahrerInnen für andere Dienste oft mit der Hälfte zufriedengeben müßten, erklärt Rieker. Die nämlich nähmen zu viele Boten unter Vertrag, wodurch der Lohn auf ein Minimum sinke.

Auch Inline allerdings bietet seinen FahrerInnen keine festen Arbeitsverträge mit Beiträgen zur Sozialversicherung. Durch den höheren Lohn jedoch können es sich die selbständigen Unternehmer leisten, selbst Steuern und Rentenversicherung zu bezahlen – wenn sie wollen.

Die Hamburger Firma floriert. Der Umsatz steigt ständig und die Zahl die Kuriere nimmt zu. Deshalb will der Berliner Initiator Rainer Haage das Modell jetzt an die Spree transportieren.

Noch aber ist nicht geklärt, ob hier eine eigene Firma entsteht oder der Verein Inline zur Unterstützung als Anteilseigner einsteigt. Ein Problem im Hinblick auf die Gründung stellt der Mangel an Eigenkapital dar. „Berliner Boten sind im Durchschnitt ärmer als die Hamburger“, sagt Haage. Deshalb wird man möglicherweise auf eine Finanzspritze von der Alster zurückgreifen müssen. Inline gelang es von einzelnen Mitgliedern Kapitaleinlagen bis zu mehreren zehntausend Mark einzuwerben. Hannes Koch

Kuriertreffen: Sonntag, 29.11., 14 Uhr, TU Berlin, Hardenbergstr. 36, Physik Neubau, R. 202