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Hasi kämpft auf die sanfte Tour

Wolf-Dieter Hasenclever möchte am Sonntag Oberbürgermeister in Tübingen werden. Dabei trifft der Grüne der ersten Stunde auf eine kämpferische Konkurrentin von der SPD. Siegt also der Kandidat der Freien Wähler?  ■ Aus Tübingen Heide Platen

„Petra“, „Gerd“, „Otto“, das war „damals“, vor fast 20 Jahren, sagt Wolf-Dieter. Damals gehörte er mit Kelly, Bastian und Schily zu den Grünen der ersten Stunde und zur Parteiprominenz. Heuer feiert Gründungsmitglied Wolf-Dieter Hasenclever seinen 53. Geburstag im Café Venus in der Tübinger Altstadt ohne die alten Weggefährten. Petra und Gerd sind tot. Otto, schimpft ein griechischer Gratulant, „ist ein Verräter geworden“. Und Hasenclever ist Oberbürgermeisterkandidat in der Universitätsstadt am Neckar.

Für Schily hat er das professionell-sanfte Verständnis des Pädagogen: „Der ist zur SPD gegangen, weil er einfach zu verbittert über die Grünen war.“ Auch Hasenclever hatte seinen Tort mit der Partei. 1980 war er als einer der bundesweit ersten Grünen in den baden-württembergischen Landtag gewählt worden, war Landes- und Fraktionsvorsitzender. 1984 zog er sich, verärgert über das basisdemokratisch verordnete Rotationsprinzip, aus der Politik zurück. Seit 1986 leitet der Oberstudiendirektor das niedersächsische Reformgymnasium Marienau, eine ökologische Modelleinrichtung, die auf der Expo 2000 als „Schule der Zukunft“ präsentiert werden wird.

Ein paar Falten mehr hat er mit den Jahren bekommen, der Ex- Promi mit hohem Wiedererkennungswert: „Ich war viel im Fernsehen“, sagt er fast verlegen und hat immer noch dasselbe jungenhafte Lächeln wie damals und die fast linkischen Bewegungen des geborenen Westfalen. Auch der Wahlkampf ist fast wie damals, mit Büro neben Studentenvertretungen, zwischen Flugis, Wandzeitungen und Broschüren. Und die Geburtstagsfeier von „Hasi“ ist eben beides: ein bißchen Familienfest mit Sahnetorte, ein bißchen Wahlkampf mit Freibier. Zu Gast sind alte Freunde, Grüne, die „Hasi“- Wählerinitiative, EU-Bürger und Ausländerinitiativen, Stadtprominenz und Neugierige. Im ersten Wahlgang am 8. November holte Hasenclever 28 Prozent der Stimmen, dichtauf gefolgt, mit nur 407 Stimmen Abstand, von der SPD- gestützten Kandidatin Brigitte Russ-Scherer. Am Sonntag müssen sich die Tübinger nun in einem zweiten Wahlgang zwischen den beiden sowie Rainer Klink von den Freien Wählern (UFW) entscheiden. Klink hofft, am Sonntag mit Hilfe der Stimmen des CDU-Kandidaten, der nicht wieder antritt, Hasenclever zu überrunden.

Die Stimmung zwischen Hasenclever und Russ-Scherer ist nicht mehr zum besten. Die 42jährige Juristin war nach dem knappen Ergebnis am Wahlabend vorgeprescht. Sie hatte schon vor einem vereinbarten Gespräch angekündigt, daß sie nicht zurückziehen, sondern nun auf Kampfkurs zu Hasenclever gehen werde.

Doch Schultes werden ist in Baden-Württemberg leichter als Schultes sein. Der Umgangston in den Kommunen ist rauh und zielt oft unter die Gürtellinie. Schmuddelkampagnen, üble Nachreden, Verleumdungsklagen, Strafbefehle beschäftigen viele Rathauschefs mehr als die Amtsgeschäfte. Das hat in Tübingen bisher vor allem UFW-Kandidat Klink schon zu spüren bekommen. Der Herausgeber der Lokalzeitung mokierte sich über das Outfit von dessen Freundin: die Röcke zu kurz und die Stiefel zu lang für die zukünftige Frau Oberbürgermeister. In Tübingen ist der Filz zwischen CDU, SPD und UFW mit den Jahren noch dichter gewachsen als anderswo. Warum also tut Hasenclever sich das an? „Ich liebe Tübingen“, sagt er. Und nennt den rauhen Ton in Ländle höflich eine „sehr offene Diskussionskultur“. Die hat er, Realpolitiker in grünen Gründerzeiten, einst im Streit mit dem Schwaben Joschka eingeübt. „Wir standen“, deuten Hasenclevers Finger den Konfrontationskurs an, „damals so!“ Diesmal hat Joseph Fischer ein Geburtstagstelegramm geschickt: „Wer von uns hätte vor 20 Jahren geglaubt, daß ich heute Außenminister bin? Und Du demnächst wahrscheinlich Oberbürgermeister.“

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