: Alte raus – junge Arbeitslose rein
Jeder mit 60 in Rente – der Vorschlag wird Spitzenthema bei den Gesprächen übers Bündnis für Arbeit. Das Projekt sei zu teuer und unrealistisch, sagen seine Kritiker ■ Von Annette Rogalla
Die Idee erinnert an die alten Lieder der Arbeiterbewegung, wo von Solidarität und bedingungslosem Zusammenhalt die Rede ist. Jeder soll mit 60 in Rente gehen können, damit mehr Jobs für junge Arbeitslose frei werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen den Abschied der Alten zu gleichen Teilen finanzieren, fordert die IG Metall. Dieser Ausstieg ist zwar auch heute schon möglich, er kostet aber. Wer mit 60 auffhört, muß Abschläge in der Rente hinnehmen – bis zu 18 Prozent. Der Tariffonds soll Abhilfe schaffen.
IG-Metall-Chef Klaus Zwickel verbreitet die Idee vom Tariffonds seit sieben Wochen. Arbeitsminister Walter Riester, vormals Zwickels Stellvertreter, hält ebenso viel von der neuen Form von Frühverrentung, wie der Bundeskanzler. Es gilt als ausgemacht, daß der Tariffonds zum Spitzenthema des Bündnisses für Arbeit wird. Alte raus – junge Arbeitslose rein, so das Motto des IG-Metall-Vorschlags. „Wenn wir nicht mehr Arbeitplätze haben, müssen wir sie besser verteilen“, sagt Zwickels Pressesprecher Jörg Barczynski.
In Deutschland arbeiten etwa 500.000 Menschen über 60, rund 2,5 Millionen Beschäftigte sind zwischen 55 und 60. Die IG Metall glaubt, daß 80 Prozent von ihnen Gefallen am Abschied aus dem Berufsleben finden werden. Würde nur jeder dritte freiwerdende Platz wiederbesetzt, kämen 790.000 Arbeitslose weg von der Straße. Der Fonds, so Barczynski, „soll ein Arbeitsmarktschub sein, keine Rentenwohltat“.
Viel zu teuer sei das Projekt, meinen die einen. Die Abschläge müssen für die gesamte Zeit des Rentenbezugs gezahlt werden, und da die Alten immer älter werden, wären pro Jungrentner gut 100.000 Mark fällig, sagt Lutz Freitag, Vorstand der Deutschen Angestellten Gewerkschaft. Dieter Schulte, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes zweifelt, ob überhaupt so viele von dem Fonds profitieren könnten, da die meisten Arbeitnehmer in Durchschnitt viel früher in Rente gehen als vom Gesetzgeber vorgesehen.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, der beim Bündnisgespräch am 7. Dezember mit am Tisch sitzt, hält den Fonds für zu kostspielig. „Es macht keinen Sinn, auf der einen Seite die gesetzlichen Personalkosten entlasten zu wollen und auf der anderen Seite die tariflichen Personalzusatzkosten in die Höhe zu treiben“, sagt er. Nicht nur Hundt zweifelt an dem Wiederbesetzungseffekt. Bei der alten Frühverrentungsregel sei nur jede siebte Stelle wiederbesetzt worden, gibt Schulte zu bedenken.
In den neuen Fonds sollen die Tarifparteien fünf Jahre lang ein Prozent der jeweiligen Lohnsteigerung paritätisch einzahlen. Im fünften Jahr verzichten die Arbeitnehmer somit auf fünf Prozent Lohnsteigerung. Die Einlagen des Fonds würden sich in dieser Zeit auf etwa 180 Milliarden Mark akkumulieren, rechnet Metaller Barczynski vor. Die Kritik, daß die Jungen heute schon kaum Aussicht auf eine gute Rente haben und durch den Fonds, von dem sie selbst nicht profitieren können, zusätzlich belastet würden, läßt der Metaller nicht gelten. Den Einwand, daß vor allem im Osten eine Tarifvereinbarung mangels Beteiligung der Arbeitgeber kaum zustande komme, wehrt er mit dem Hinweis auf einen „Bundestarifvertrag“ ab. Die Allgemeinverbindlichkeit des Fonds soll der Arbeitsminister notfalls dekretieren, meint Barczynski.
In vielen Branchen sind die Rentenabschläge aber schon heute kein Thema mehr. Für zehn Millionen Beschäftigte in 25 Wirtschaftsbreichen existieren bereits betriebliche oder traifliche Regelungen zur Altersteilzeit. Die Tarifverträge stocken das Einkommen vielfach bis auf 85 Prozent des letzten Nettoeinkommens auf. Wie will die IG Metall da ihren gutgesicherten Mitgliedern klarmachen, daß sie auf Lohnzuwächse zugunsten anderer Branchen verzichten sollen? „Das kriegen wir hin. Wenn es um Arbeitsplätze geht, finden wir bei uns noch so viel Solidarität. Dafür kriegen wir die Leute auch wieder auf die Straße“, ist sich Barczynski sicher.
In den Denkstuben der IG Metall will man sich lieber nicht auf Arbeitskämpfe verlassen. Dort wird bereits eine Auffanglinie konzipiert, falls das Zwickel-Modell in den Verhandlungen durchfällt. Statt einen eigenen Fonds aufzulegen, könne man das Geld doch gleich den Rentenversicherern als Sondervermögen übertragen. Freilich würden die Rentenbeiträge um einen Prozentpunkt steigen, doch ließe sich ein Kapitalstock aufbauen, von dem die heute Jungen später auch einmal profitieren könnten. Die Idee hat Vorteile: Sie wäre nicht nur Sache der Tarifparteien, denn alle müßten mitmachen und der Streit um Allgemeinverbindlichkeit entfiele. Die Höhe der Rentenbeiträge bestimmt zwar die Regierung, doch im Fall des Kapitalstocks wäre eine einvernehmliche Lösung zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und der Regierung denkbar.
Kommentar Seite 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen