„Partei darf nicht Anhängsel der Macht werden“

■ Antje Radcke über einen starken Bundesvorstand der Grünen und ihre Aufgaben als Parteisprecherin

taz: Warum wollen Sie unbedingt Parteichefin der Grünen in Bonn werden?

Antje Radcke: Weil diese Partei einen starken Bundesvorstand gerade jetzt, wo sie Teil der Bundesregierung geworden ist, ganz besonders braucht. Ich sehe eine meiner wichtigsten Aufgaben darin, zwischen Partei, Fraktion und Regierungsmitgliedern Brücken zu schlagen. Die Partei muß dabei das wichtigste Element bleiben.

Was können und wollen Sie zu dieser Stärkung beitragen?

Ich stehe dafür, daß die Parteibasis nicht zum Anhängsel der Macht wird, ich stehe für eine intensive Kommunikation zwischen allen Ebenen und Gliederungen. Sie müssen in eine aktive Politikarbeit einbezogen sein, wenn die Grünen ihre Aufgabe ernst nehmen, Themen und Tendenzen abseits vom Alltag des Regierungsgeschäftes zu sehen und zu besetzen.

Dazu müßte endlich ein Grundsatzprogramm Ihrer Partei her.

Ja, es ist schon lange überfällig, die grundlegende Programmatik der Partei neu zu definieren. Das ist ein ganz spezieller Punkt, der nur in engem Austausch mit den Landesverbänden und anderen Parteigliederungen sinnvoll umgesetzt werden kann. Gerade dafür brauchen wir eine stärkere Transparenz und Vernetzung zwischen Bundes- und Kreisebene.

Die Grünen diskutieren zur Zeit eine Reform des Parteivorstandes, die eine Stärkung der grünen Fraktion und der Minister durch einen Parteirat vorsieht. Sie gelten als Verfechterin der Trennung von Amt und Mandat. Werden Sie das auch als Parteichefin sein?

Ja. Der Parteirat wird aber nicht die Funktion haben, Minister und Fraktion zu stärken, sondern den Bundesvorstand und damit die Partei. Er soll den Bundesvorstand beraten und die Kommunikation mit den Landesverbänden sowie den Regierungs- und Fraktionsmitgliedern verbessern. In einem solchen beratenden Gremium macht es keinen Sinn, Amts- und Mandatsträger völlig auszuschließen. Die Entscheidungen über die Linie der Partei müssen aber weiterhin im Vorstand, im Länderrat und auf den Parteitagen getroffen werden.

Welche Schwerpunkte wollen Sie als Parteichefin zuerst setzen?

Neben der Programmdiskussion steht eine klare Definition grüner Außen- und Militärpolitik an. Mir persönlich sehr wichtig sind zudem die Fragen der sozialen Grundversorgung und die Gleichstellung von Minderheiten. Die Zuwanderungsdiskussion, die gerade wieder eingesetzt hat, muß einen deutlich anderen Zungenschlag erhalten. Und natürlich gilt es darauf hinzuwirken, daß der Einstieg in die ökologisch-soziale Steuerreform ausgebaut und der Ausstieg aus der Atomkraft umgesetzt wird.

Als Parteisprecherin der GAL in Hamburg haben Sie sich zum ersten Geburtstag der rot-grünen Koalition an der Elbe kritisch geäußert. Was darf die gerade vier Wochen alte rot-grüne Bundeskoalition von Ihnen erwarten?

Ich habe den Eindruck, daß unser Regierungspartner zur Zeit etwas orientierungslos ist. Einige in der SPD scheinen bereits vergessen zu haben, daß sie einen Koalitionsvertrag unterschrieben haben. Ich denke, es ist erforderlich, bei manchen Sozialdemokraten einen entsprechenden Erkenntnisprozeß voranzutreiben. Interview: Sven-Michael Veit