: Lernen bei Wind und Wetter
■ Grundschüler werden im Wald unterrichtet: Keine Angst vor Spinnen
Schneverdingen. Montags ist in der Klasse 3c der Osterwald-Grundschule in Schneverdingen alles ein bißchen anders. Da gibt es keine Tafel und kein langes Stillsitzen. Denn montags geht die 3c in ihr Waldklassenzimmer. Eine Viertelstunde Fußmarsch von der Schule entfernt stehen unter alten Buchen und Eichen 15 Holztische und -bänke. Doch gelernt wird mehr im Stehen und Gehen, beim Spielen und Toben. Das Schneverdinger Waldklassenzimmer wurde vor zweieinhalb Jahren vom „Verein Klimaschutz durch Wald“ eingerichtet. Inzwischen gibt es in Niedersachsen ein Dutzend weitere. Auch Schulen aus anderen Bundesländern zeigen Interesse.
An diesem Montag ist es sonnig, aber bitterkalt. Kein Grund für die Klassenlehrerin Heike Onken-Olszewski, den Vormittag im Wald abzublasen. Statt dessen macht die „Feuergruppe“ der 3c wie üblich ein großes Feuer. Bis vor einigen Monaten brannte es stets im Halbrund der Tische und Bänke, doch jetzt verfügt das Waldklassenzimmer auch über eine Köhlerhütte. Als die ersten Flammen lodern, wird ein Gedicht vorgelesen: „Das Feuer“ von James Krüss. Die Kinder sollen es heute auswendiglernen.
Die zehnjährige Relana will aber lieber erst ein Feuerbild tuschen, ebenfalls ein Unterrichtsziel der heutigen vier Schulstunden. Im Fach Deutsch sind zur Zeit die zusammengesetzten Wörter dran. Die hat die Lehrerin bereits anhand der Kartoffel eingeführt: Kartoffelpuffer, Kartoffelsalat, Heidekartoffeln ... Die Kinder wollen außerdem Pellkartoffeln auf der Glut zubereiten. „Mein Ziel ist es, die Schüler ganzheitlich zu unterrichten“, sagt Heike Onken-Olszewski. „Sie sollen nicht nur über Dinge lesen und hören, sondern sie auch fühlen, riechen und schmecken.“
Oft kommt ihr ganz unverhofft die Natur zur Hilfe. Neulich entdeckten die Kinder in einem Ameisenhaufen eine Hornisse. Sie holten sofort das Bestimmungsbuch und verglichen das Tier mit der Abbildung. Ein anderes Mal wimmelte es im Wald vor Pilzen. Da wurde dann kurzerhand die Butter von den Pausenbroten gekratzt, als Bratfett für die Pilze. „So wird oft mein Unterrichtsplan über den Haufen geworfen“, lacht die Lehrerin. Daß die Kinder deshalb weniger lernen, glaubt sie nicht – im Gegenteil: „Vieles prägt sich ihnen tiefer ein. Außerdem haben sie im Wald sehr gut gelernt, miteinander umzugehen.“ In der 3c, in der viele verhaltensauffällige Kinder seien, ein großer Erfolg.
Der achtjährige Merlin zeigt voller Stolz den Webrahmen aus Ästen und Sisalband, den die Klasse zwischen zwei Bäume gehängt hat. „Guck mal, da kann man auch einen Tannenzweig 'reinweben“, ruft er und setzt den Einfall gleich in die Tat um. Was er vor allem gut findet am Unterricht im Wald? Es sei lohnend, sich mit den Aufgaben zu beeilen, sagt er ernsthaft: „Wer fertig ist, darf nämlich spielen gehen.“
Anfangs reagierten manche Eltern skeptisch. „Ein Vater hatte Angst, daß sich sein Kind im Wald erkältet“, erinnert sich die Lehrerin. Eine Mutter hat andere Erfahrungen gemacht – ihr Sohn sei widerstandsfähiger und kreativer geworden.
Matthias Metzger, Forstingenieur beim Verein Klimaschutz, begleitet die Klasse 3c regelmäßig in den Wald. Vorher betreute er einen Waldlehrpfad im Landkreis Uelzen, der tageweise von Schulklassen besucht wird. Sein Fazit: Der regelmäßige Unterricht draußen bringt für die Umweltbildung mehr. „Die Kinder kennen keine Berührungsängste mit der Natur.“ Angst vor Spinnen etwa? In der Klasse 3c kein Thema.
Kerstin Geisel, dpa
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