: Zwischen Protest und Profit
■ Im Londoner „Asian Underground“ brodelt es mächtig / Was dabei an Tönen herauskommt, ist am Sonnabend im Tivoli in Bremen zu hören
Verkehrte Welt: Kureishis „Mein wunderbarer Waschsalon“ brachte den Spagat zwischen Fish'n Chips und Chicken Curry auf die Leinwand, der „Buddha aus der Vorstadt“ ins Bücherregal. Doch jetzt erst wird die „Zweite Generation“ Thema in der ansonsten so schnellen Popwelt: Als „Asian Underground“ mischen junge Briten indischer Abstammung die Szene auf. Ihr Erfolgsrezept verbindet traditionelle Instrumente wie Sitar und Tabla mit den aggressiven Drum'n-Bass-Sounds der Neunziger. Einer der Initiatoren dieser sehr tanzbaren Jugendbewegung ist der 28jährige Londoner Talvin Singh.
Er löste 1997 mit der von ihm zusammengestellten Compilation „Anokha – Soundz of the Asian Underground“ ein mittleres Erdbeben aus, wird als Remixer inzwischen auch von Madonna umworben und legt nun mit „O.K.“ sein erstes eigenes Album vor. Es sucht weniger radikal nach einer Weltmusik des nächsten Jahrhunderts und läßt nicht nur hektische Beats rattern, sondern gewinnt beispielsweise durch den Einsatz der Streicher des Madras Philharmonic Orchestra und der Flötistin Rakesh Churasia Soundtrack-Qualitäten – „Drum and Space“ eben. Als Sprachrohr einer ganzen Generation wird er inzwischen behandelt, doch seine Erfahrungen als Einwandererkind sind bedrückend: „Als ich in London zur Schule ging, hieß es immer: Talvin, du bist okay, weil du ein cooler Typ bist. Aber mit deinen Leuten wollen wir nichts zu tun haben, die haben so schmierige Haare. Das war krank.“
Aber die Zeiten ändern sich. Vor der wegen Überfüllung geschlossenen Tür des montäglichen „Anokha Clubs“ im „Blue Note“ drängten sich bis zu achthundert Gäste, die auch noch etwas von den coolen Vibes der ehemaligen Outsider abbekommen wollten. Für Talvin Singh eindeutig zu viel Erfolg: „Wir hatten auf einmal einen Club mit vier Etagen, in dem nur noch Popstars rumhingen und den wir deswegen geschlossen haben. Ich bin doch kein blöder Rave-Promoter!“
Ebenfalls zornig der Gründer des Londoner Outcaste-Labels: „Wir sind noch immer eine Minderheit, die unter hohem Anpassungsdruck steht“, berichtet Shabs, „und die Musik, die wir machen, soll da draußen im Mainstream wahrgenommen werden. Sie ist unsere Stimme, und wir wollen, daß sie endlich gehört wird.“ Nach sechs Alben und zwanzig 12-Inches scheint der in Afrika geborene Sohn indischer Eltern diesem Ziel inzwischen zwei Schritte näher gekommen zu sein. Nicht bloß die Leser des englischen Szene-Magazins „The Face“ wählten den Outcaste Club in Notting Hill in die Top Ten der coolen Hangouts – auch das bisher stark auf HipHop orientierte Label Tommy Boy schloß mit den seit 1995 existierenden Outcasts einen Dreijahresvertrag. Shabs freut sich über den Erfolg seines Labels bei den schicken Londoner Trendsettern: „Ich finde das fantastisch! Diese Leute brauchen wir, um eines Tages in den Mainstream zu kommen. Schließlich müssen wir einen Markt schaffen.“
Sehr viel radikaler gebärdet sich derzeit noch die nächste Generation zorniger junger Musiker – so viel Wut wie in den harten Texten der Asian Dub Foundation war lange nicht mehr. Entstanden aus einem Musikworkshop für jugendliche Immigranten, straßenerprobt als Soundsystem und politisch bewährt auf Antifa-Konzerten, verbindet die von vielen als Entdeckung des Jahres gefeierte Band Dub, Breakbeats, Ragga und harte Gitarren mit traditionellen Samples und verläßt damit den Clubsound in Richtung Stadionhymne. Die paßt allerdings auch zu den Botschaften, die der neunzehnjährige Rapper Deeder Zaman, genannt Master D, ins Mikrophon brüllt. Um Freiheit für ihren Freund Satpal Ram, der einen rassistischen Angreifer in Notwehr tötete, geht es ihnen, um „black and white unite“ und natürlich um den nächsten Aufstand, der kein aus Langeweile geborener Teenage Riot sein wird. Was daran wirklich so gemeint ist, und was bloß einer von der Plattenindustrie hoch geschätzte Pose ist, läßt sich jetzt beim Konzert in Bremen überprüfen. Gunnar Lützow
Konzert am Samstag, 5. Dezember, ab 20 Uhr im Tivoli
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen