: Glücklich bieder sein
■ Als Transvestit in der DDR der 50er Jahre: „Zu Gast bei: W./.Hiller“ in den Sophiensaelen
Ein Theaterabend der ganz anderen Art. Ein Gastspiel des Theaters im Pumpenhaus aus Münster. „Zu Gast bei: W./.Hiller“ heißt das Stück von Paula Artkamp, das nach zwei taz-Reportagen von Gabriele Goettle entstand. Spielort Sophiensaele: Man wartet erst noch im Café. Dann wird man in den dritten Stock geleitet. Durch lange Flure, kalte Treppenhäuser und verfallene Theatersäle, vorbei an Bühnenbildern und Büros. Man kommt aber schließlich in keinen Theatersaal, sondern in einen langgestreckten, schmalen Raum, der von rundherumgezogenen, hauchdünnen weißen Vorhängen in ein wehendes Oval verwandelt wurde.
In der Mitte ein langer, weiß gedeckter Tisch, an den man plaziert wird wie in einem guten Restaurant. Am oberen Ende des Raums steht ein Frisiertisch. Rückwärtsgewandt sitzt dort ein Mann im langen Trench. Er setzt einen Kassettenrekorder in Gang. Ein Mann und eine Frau erzählen dort vom Besuch bei W. Hiller, einer Frau, die in zwei Jahrhunderten und in zwei Geschlechtern lebte. Denn Walli Hiller wurde als Mann geboren. Verbrachte den Großteil seiner zweiten Lebenshälfte in der DDR. Überschrift der zweiten Goettle-Reportage: „Als Transvestit in der DDR“, als wäre das ein Widerspruch. Aber in W. Hillers Lebensbericht begegnet einem die DDR dann als durch und durch tolerant.
In den fünfziger Jahren konnte Hiller dort als bekennender Transvestit in Frauenkleidern in einer Fabrik arbeiten. Was im Westen wohl nicht möglich gewesen wäre. Und so ist eigentlich alles, was W. Hiller erzählt, durchdrungen von dem Versuch, seine Abweichung in ein bürgerliches Leben zu integrieren. Ehe, Kind, Haus und Garten, eine Kakteenzucht. Als habe sie sein bürgerliches Leben erst ermöglicht. Der kurze Tonbandbericht ist bald zu Ende. Der Mann setzt eine Perücke auf, zieht den Mantel aus. Und im roten Kleid steht dann Walli Hiller da. Aus einer real existierenden Person ist eine Kunstfigur geworden. Aber irgendwie auch nicht. Denn Frau Hiller, die eigentlich der Schauspieler Pitt Hartmann ist, begrüßt die Leute am Tisch wie bei sich zu Haus und gießt ihnen erst mal Rotwein in die Gläser.
Die Theatersituation tritt da schnell in den Hintergrund. Die Leute sind überrascht, manche merkwürdig verkrampft, eine Theaterkritikerin nestelt nervös unterm Tisch an ihrem Notizblock und erstarrt, als Frau Hiller plötzlich hinter ihr steht. Als hätte man sie bei etwas Verbotenem erwischt.
Beiläufig erzählt Frau Hiller dann aus ihrem hundertjährigen Leben, in dem historische Ereignisse bloß Fußnoten sind. Wichtig ist das rote Kleid, das sie trug, als sie sich das erste Mal in Frauenkleidern öffentlich zeigte, der selbstmodellierte Kerzenständer, Kochrezepte und Tochter Dorle. Geballte Biederkeit, wäre da nicht die kleine Nebensächlichkeit, daß hier ein Mann in Frauenkleidern spricht. Irgendwann fährt klappernd ein Servierwagen in den Raum, und bald dampft vor jedem Gast ein Teller mit Irish Stew, von dem eine hysterisch grinsende Dame mir gegenüber gar nicht genug bekommen kann.
All das ist so schön ausgedacht, daß man über kleine Schwächen gar nicht reden will. Als dann Frau Hiller zum Schluß die Perücke runterreißt und sich plötzlich der Schauspieler Pitt Hartmann zum Applaus verbeugt, ist man richtig enttäuscht. Brav werden zwar noch die Teller und Terrinen auf den Servierwagen zurückgestellt. Aber statt zu applaudieren, hätte man lieber Frau Hiller auf Wiedersehen gesagt. Esther Slevogt
Bis 8.12. ab 20 Uhr in den Sophiensaelen, Sophienstr. 18
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