: Kraft durch Pose
Mehr De- als Remystifikation: Die erste deutsche monographische Werkschau zu Leni Riefenstahl in Potsdam ■ Von Brigitte Werneburg
Man muß endlich hinschauen dürfen! Das ist der Grundton, auf den die erste monographische Ausstellung zum filmischen und fotografischen Werk von Leni Riefenstahl in Deutschland gestimmt ist, die heute im Potsdamer Filmmuseum eröffnet. Aber wie es so kommt: Der streitbare Ton steht nun plötzlich neben der Forderung auf das Recht, wegschauen zu dürfen, wie sie Martin Walser hinsichtlich der angeblichen „Dauerpräsentation unserer Schande“ stellte; die Selbstermächtigung zum Blick auf den „Faszinierenden Faschismus“ (wie Susan Sontag ihren Essay über Leni Riefenstahl überschrieb) steht neben der Abwehr der Erinnerung an den mörderischen Faschismus.
Der Zusammenhang von hier hin- und dort wegschauen ist freilich ein vermeintlicher. Es geht bei der nationalsozialistischen Vergangenheit tatsächlich ums Hinschauen: auf die Verbrechen und auf die Faszination. Und wenn man vermutet, daß beide Momente in der Person und dem Werk Leni Riefenstahls exemplarisch zum Ausdruck kommen, dann hätte diese Ausstellung längst stattfinden können und längst stattfinden müssen.
So provokativ, wie sich die Ausstellungsinitiatorinnen – die Direktorin des Filmmuseums Potsdam, Bärbel Dalichow, und ihre Mitarbeiterin Claudia Lenssen – wohl die Aufnahme ihres Projekts wünschen, darf es eigentlich gar nicht sein, besonders nach ihren eigenen einführenden Überlegungen unter dem Titel „Focus Leni Riefenstahl“. Ist es nicht gerade die Unsichtbarkeit ihrer Parteitags- und Olympiafilme, die den Streit und eine stete Aufgeregtheit um ihre Person befördert? Sind es nicht die illegal zirkulierenden Videokopien von „Triumph des Willens“, die den Mythos nähren? Was also hilft alles pädagogische „Bewahre uns vor der Versuchung“? Zumal auch ein pädagogisch begründetes Bilderverbot undemokratisch ist, eine Zensur darstellt. Daß allein schon die erstmalige Darstellung von Leben und Werk der Bertha Helene Amalie Riefenstahl im Museumskontext und unter dem Begleitschutz eines soliden Katalogs mehr der Demystifikation als der Remystifikation zuarbeiten muß, ist eine durchaus nachvollziehbare Grundannahme der Ausstellungsinitiatorinnen.
Nun verdankt sich freilich das Fehlen einer deutschen Riefenstahl-Ausstellung nicht allein der Angst vor der weiterhin wirksamen demagogischen Verführungskraft der Riefenstahlschen Bilder, sondern eher dem Umstand, daß die 96jährige Dame noch munter auf den Beinen ist. An ihr kommt man bei einem solchen Vorhaben nicht vorbei. Und die prozeßfreudige Filmemacherin will noch immer nichts anderes als eine – bitte nicht kritische – Hommage.
Langer Gang mit Dunkelkammern
Das ist nun die Potsdamer Ausstellung nicht gerade geworden, aber daß die Museumsleute an ihr nicht vorbeikamen, merkt man der Ausstellung trotzdem an. Riefenstahl ist mit den Leihgaben aus ihrem Privatarchiv wie amtlichen Dokumenten, Fotos, Anzeigen, Originaldrehbüchern, Briefen von Jean Cocteau, Rainer Werner Fassbinder oder Henri Langlois von der Cinématèque Française einerseits die einzige „Sponsorin“ der Ausstellung. Andererseits führten, wie sich bei der Pressekonferenz herausstellte, die beschränkten Geldmittel dazu, daß die Paneele mit den groß aufgezogenen Nuba-Fotografien direkt aus einer japanischen Riefenstahl-Ausstellung übernommen werden mußten. So erklärt sich ein Mißverhältnis, das ohne dieses Wissen verdächtig nach Manipulation röche.
Die Ausstellung ist als ein langer Gang durch thematisch geordnete Räume inszeniert. Während im ersten Raum auf vier wirklich kleinen Fernsehmonitoren die vier Filme zu sehen sind, die Leni Riefenstahl in eigener Regie und eigener Produktion verantwortete – „Das blaue Licht“ (1932), „Triumph des Willens“ (1935), „Olympia“ (1938) und „Tiefland“ (1940 bis 1954) –, betritt man nach dieser minimalistischen Präsentation ihrer maßgeblichen Arbeiten den mit den japanischen Nuba-Paneelen spektakulär in Szene gesetzten Raum. Daran schließt eine Box an, auf deren zwei Längswände die Dias von Riefenstahls Tauchfahrten projiziert werden. Der Farbenpracht der Korallengärten in dieser Dunkelkammer entronnen, steht der Besucher in einem nüchternen Leseraum, der wiederum eher kleinteilig gebaut ist. An der Wand sind Zitate zur Werbestrategin Riefenstahl aufbereitet, zur Ästhetin, zur unbelehrbaren Faschistin, zur Unperson sowie Erläuterungen zu Ausstellung und Katalog, zu ihren Prozessen und den Ehrungen, die ihr im Laufe der Jahre zuteil wurden. Die acht auf dem Tisch festgeschraubten Textordner enthalten Zeitschriftenaufsätze und Zeitungsartikel, einerseits zu Riefenstahl und ihren Arbeiten, andererseits aber auch zum Streit um das Holocaust-Denkmal oder zum Rechtsextremismus in Brandenburg, darüber hinaus zur Manifestation faschistischer, auch Riefenstahlscher Ästhetik im neuesten deutschen Popgeschehen, etwa bei Rammstein etc.
Der Eindruck, die bunte Natur(-Burschen)-Fotografie soll zuungunsten der herausragenden Propagandistin erst der Partei und dann des diktatorischen Regimes als Gastgeber der XI. Olympischen Spiele herausgestellt werden, kann sich schon einstellen. Das Licht am Ende des Tunnels allerdings ist die Projektion von Ray Müllers filmischem Porträt „Die Macht der Bilder – Leni Riefenstahl“ von 1993, in dem die Widersprüche ihrer Selbstbeschreibung doch sehr plastisch werden. Daran schließt auch der Katalogbeitrag von Felix Moeller an, der zwei ihrer Stilisierungen ad acta legt, nämlich die angebliche Feindschaft von Joseph Goebbels sowie ihren ständigen, exklusiven Kontakt mit Hitler. Riefenstahl wußte sich in der ihn umgebenden Kamarilla durchaus weitere Freunde zu schaffen, wie Albert Speer oder Martin Bormann. Und daß Joseph Goebbels anläßlich des Parteitagsfilms von 1934 (des bis heute meistbeschriebenen deutschen Films überhaupt) ihre Propagandistinnenrolle begeistert festschrieb – „Wer das Gesicht des Führers in ,Triumph des Willens‘ gesehen und erlebt hat, der wird es nie vergessen...“ –, konnte sie wohl nur nach dem Krieg als feindseligen Akt empfinden. Wie geht Goebbels' Lob mit dem Brief von Rainer Werner Fassbinder zusammen, der in einer der außen umlaufenden Vitrinen zu sehen ist, die Riefenstahls Lebensweg dokumentieren? Fassbinder möchte, daß sie die Standfotos zu „Querelle“ macht, da er glaubt: „Sie könnten eine starke Beziehung zu meiner Arbeit entwickeln.“
Ist es der Pop in Riefenstahls Werk, der diese Beziehung stiftet? Georg Seeßlen stellt in seinem Katalogbeitrag „Blut und Glamour“ die provokative Frage nach der „faschistischen Ästhetik als einer sonderbaren Abart von Pop“. Die anderen Beiträge interessiert die korrekte Aufklärung alter Fragen. Oksana Bulgakowa erkennt keine „Riefenstein“, also Avantgardistin im Sinne Eisensteins, und Claudia Lenssen bemüht sich um die kritische Biographie, wobei sie vielleicht doch etwas zu dicht an Riefenstahls Autobiographie bleibt.
Das Potsdamer Filmmuseum erklärt sein Interesse an Riefenstahl auch mit einem speziellen Informationsbedürfnis: Dank der Politik des Antifaschismus sei sie in der DDR fast gar nicht existent gewesen. Doch ist es nicht eher so, daß, da Riefenstahl ohne ihre Parteitagsfilme nun mal nicht zu haben ist, diese den DDR-Ritualen zu große Kenntlichkeit verschafft hätten? Ob Aufklärung in dieser Richtung noch funktioniert – zu Zeiten einer zunehmenden Verklärung der DDR-Vergangenheit? Hier wird die Ausstellung eigentlich brisant, scheint doch die Frage nach der „Riefenstahl in uns“, der erfolgreichen Frau unter lauter Parteimännern, eher auf die jüngeren Erfahrungen von Kunst und Propanda zu zielen als auf die älteren. Wobei versöhnliche Töne durchaus mitklingen. Aber vielleicht ist die Ausstellung gerade deshalb mutig.
Bis 28. Februar 1999 im Filmmuseum Potsdam, Marstall, mit sechs thematischen Filmreihen, inklusive Riefenstahl-Retrospektive.
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