: Das Buch und die Bonner Gefahr
■ Neben der Aufhebung der Buchpreisbindung durch die EU bedroht die Bonner Steuerpolitik mit der Teilwertabschreibung das Kulturgut Buch - eine Diskussion in der Berliner Akademie der Künste
Warum hat man eigentlich immer das Gefühl, daß Michael Naumann Dinge sagt, die man bisher noch nicht wußte und die man sich deshalb besser merkt? Zum Beispiel, daß Kultur eine wichtige Angelegenheit ist. Das hat er auch am Mittwoch in der Berliner Akademie der Künste gesagt, und die Zuhörer hingen so gebannt an seinen Lippen, als würde er ihnen gerade das Geheimnis des ewigen Lebens erklären. Das ist die Naumann- Show, die diesmal unter dem Titel „Aufhebung der Buchpreisbindung?“ angekündigt worden war.
In den letzten Tagen und Wochen hatte es allerhand Gezeter um die Buchpreisbindung gegeben. Die Wettbewerbskommission der EU, namentlich ihr Kommissar Karel van Miert, wollen sie außer Kraft setzen. Der deutsche Literaturbetrieb ist dagegen. Michael Naumann, Ex-Verleger und designierter Staatsminister für Kultur, hat sich der Sache angenommen. Er hat sogar schon versucht, mit van Miert zu reden: „Mein erster Auslandsbesuch im neuen Amt.“ Aber van Miert war nicht zu sprechen. So richtig weiß also niemand, was man nun eigentlich tun soll außer abzuwarten.
Darum bestätigten sich die Diskussionsteilnehmer erst einmal gegenseitig in ihren Horrorszenarien. „Das ist wirklich ein dramatisches Thema“, erklärt Siegfried Unseld, der Chef des Suhrkamp Verlages, und machte dabei dramatische Handbewegungen: „Von den 3.000 Buchhandlungen in Deutschland würden nach Abschaffung der Buchpreisbindung das erste Drittel im ersten Jahr schließen müssen.“ Der Schriftsteller Friedrich Dieckmann sprach davon, daß seine in kleinen Auflagen erscheinenden Bücher vermutlich ohne Buchpreisbindung gar keinen Verlag gefunden hätten. Das wäre natürlich sehr schlimm, könnte aber vielleicht verhindert werden, wenn man Bücher in erster Linie als Kulturgut und nicht als Ware behandelte, wie der Berliner Verleger Dietrich Simon (Volk & Welt) forderte. Nur Johannes Willms, der Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, versuchte „den Schurken zu spielen“: Es gebe eine Überproduktion auf dem Büchermarkt – „einen Bücherberg in Analogie zum Butterberg“ –, und den nur wegen der Buchpreisbindung. Also weg damit. Allerdings mußte Willms unbedingt noch darauf hinweisen, daß er „hin und wieder auch einmal ein Buch schreibe“ und von daher nicht wirklich etwas gegen den regulierten Markt einzuwenden habe. Man war sich also einig auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten: Alles muß so bleiben, wie es ist. Europa stinkt.
Doch zuletzt wurde Johannes Willms dann noch ein bißchen biestig. Die eigentliche Gefahr für Verlagswesen und Buchhandel in Deutschland käme ja wohl nicht aus Brüssel, sondern aus Bonn, meinte er, und: Es sei schon merkwürdig, daß Michael Naumann die Preisbindung unbedingt aufrecht erhalten wolle – seine Regierungskollegen aber gleichzeitig mit der angekündigten Abschaffung der Teilwertabschreibung „viel gefährlicher und viel unmittelbarer“ den Buchmarkt bedrohen. Siegfried Unseld, der gerade in der FAZ die Bundesregierung kollektiv als „Literaturvernichter“ geschmäht hatte, ruderte daraufhin wieder mit den Armen. Und erklärte, was es für einen Verlag bedeute, wenn er seine Backlist voll versteuern müsse: den Untergang nämlich. Rebellion! Für einen Moment drohte die Naumann-Show aus dem Ruder zu laufen. Kaum hatte der künftige Staatsminister zu einer Antwort angesetzt, rief eine Frau aus dem Publikum empört „Keine Rechtfertigungen!“ und verließ laut keifend den Saal. Doch dann erklärte Michael Naumann, daß Demokratie ganz viel mit Diskussion zu tun habe. Er könne „natürlich nicht aus dem Nähkästchen plaudern“, aber die Steuerreform werde „so, wie sie jetzt in der Rohform existiert“ sicher nicht durch das Parlament gehen. Und daß man – „das wird Sie überraschen“ – Solidarität von der Textilindustrie erfahre: Die hat nämlich noch größere Lager als die Verlage. Kolja Mensing
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