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Harte Platten! Lautester Ton!

Das ganze Jahr wurde schon gefeiert, am Sonntag wird die Deutsche Grammophon tatsächlich 100. Ein kritischer Rückblick  ■ Von Michael Hess

Daß mit fortschreitendem Alter die Erinnerung an früher immer besser wird, weiß die Belegschaft der Deutschen Grammophon spätestens seit diesem Jahr. Je oller, desto doller – das gilt erst recht für nullende Schallplattenfirmen. Satte elf Monate hielt sich das Zentenarium des „gelben Labels“, und während in den frisch renovierten Büros in der Alten Rabenstraße das Aspirin knapp wird, sammeln sich am Sonn- und eigentlichen Jubeltag die Überlebenden zu einer Abschlußgala im Curio-Haus. Inklusive Bürgermeister und einem Hamburger Alt-Kanzler, der, manche mögen sich erinnern, einst selbst für das Unternehmen aktiv war. So weit, so gut, so what?

Fest steht, die Deutsche Grammophon Gesellschaft war am 6. Dezember 1898 nicht, wie viele bis heute glauben, als göttliche Dreingabe vom Himmel gefallen – so wie etwa die Katholische Kirche, ihrem Vorbild an weiß-gelber Autorität. Auch haben jene Klassik-Fans unrecht, die meinen, hierbei handele es sich um eine Vergesellschaftung deutschen Kulturgeistes. Gewissermaßen mit Bach, Brahms und Beethoven als stillen Teilhabern und Trägern der visionären Hoffnung, irgendwann möge doch ein Apparat mit Kurbel und flachen Scheiben erfunden werden.

Nein, tatsächlich kam schon damals, wie auch später vieles mehr, alles Gute aus Amerika. Der deutsch-jüdische Erfinder Emil Berliner gründete dort nämlich schon 1895 seine „Gramophone Company“, drei Jahre später erfolgte in Hannover die Eintragung der ersten Schallplattenfabrik Europas. Die Deutsche Grammophon war also eher das Produkt früher Globalisierung. Heimatliche Verbundenheit wird eine untergeordnete Rolle gespielt haben, denn deutsch an der Deutschen Grammophon blieb bis auf weiteres nur der Name: Die Preßmaschinen stammten aus den USA, die Matrizen aus London, und der Schellack kam aus Indien.

Was allerdings noch fehlte, waren die A & R, die Artisten und das Repertoire. Tonaufnahmen standen um die Jahrhundertwende vor allem beim krüschen Künstlervolk in einem flatterhaften Ruf. Bei der Deutschen Grammophon rückte man diesem Image mit kernigem Marketing zu Leibe: „Stärkster Ton! Lautester Ton! Natürlichster Ton! Harte Platten!“ Skeptiker wurden wie heute mit Schecks, aber auch mal mit Schnaps geködert.

So fürchtete jemand wie Fjodor Schaljapin derart den Verlust seiner russischen Seele, daß er sich vor jeder Aufnahme erst einmal betrank. Caruso nutzte seinen Aberglauben ungleich geschäftstüchtiger: Mit viel Tamtam nahm er in Verdis Sterbezimmer seine ersten Arien auf und verhalf der Schallplatte und somit der Deutschen Grammophon zum weltweiten Durchbruch. Heute verspricht ein Original-Image-Bit-Processing die akustische Keimfreiheit, und in Hannover, wo 1904 die Tagesproduktion bereits bei 25.000 Platten lag, brennt die PolyGram heute bis zu 600.000 CDs.

Irgendwie deutsch wurde die Deutsche Grammophon mithin erst durch Beschlagnahme während des Ersten Weltkriegs. 1937 übernahmen Deutsche Bank und Telefunken den rezessionsgeschädigten Konzern, ab 1941 verwaltete Siemens die künstlerische Gleichschaltung des Unternehmens. Der Übergang in die BRD war fließend. Als man 1956 von Berlin an die Elbe zog, hatte das Label längst wieder seine Monopolstellung innerhalb des weltweiten Klassik-Betriebes eingenommen. Ein beispielloser Back-Katalog und dessen Ausbeutung auf immer neuen Formaten wird die Deutsche Grammophon voraussichtlich bis in alle Ewigkeit warm halten. Der neue Exklusiv-Vertrag mit der Mailänder Scala und eine Serie zeitgenössischer Musik helfen darüber hinaus, den Katalog fürs übernächste Jahrhundert aufzubauen. Es kann also gar nichts mehr schiefgehen. Selbst ein neuerlicher Umzug steht nicht zur Debatte. Schließlich freut man sich jetzt schon auf das baldige 50-Jahre-Hamburg-Jubiläum.

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