: Kucken Sie doch mal nicht überhin
■ Bremensien, oh Schreck: Aber vieleicht versuchen Sie es doch mal mit diesem kleinen, feinen Foto-Buch
Wir sind blind. Sie und ich, wir laufen jeden Tag durch die Stadt und was sehen wir? Genaugenommen gar nichts. Oder haben Sie schon einmal die Fiefenglocke bewußt wahrgenommen? Was für eine Glocke werden Sie fragen. Recht so. Wer sich für die kleinen Geschichtchen des Alltags und der Historie interessiert, dem dem sei das jüngste Bremen-Buch aus dem Verlag Hauschild empfohlen.
Auch Leute, die mit Bremensien und Plattdeutsch und all diesem volkstümelnden Kram wenig anfangen können, werden sich ein Schmunzeln kaum verkneifen können. Und als Geschenk für Omi, Opi, Tante, Onkel taugt das Werk allemal, das der Designer Wolfgang Jarchow, der Fotograf Lothar Klimek und der Geschichtenerzähler Oskar Weldmann jetzt herausgegeben haben. Sie widmen sich dem Thema „Bremisches. Wo einer leicht überhin kuckt“.
Wie eben der Fiefenglocke. Die kleine Bimmel hängt weithin sichtbar am Turmdach der Kirche unser Lieben Frauen. Und die erklang dereinst, so erklärt Weldmann auf Bremer Platt Klimeks Foto, „sonntachmorgens um fief, plattdeutsch für fünf. „Wo dann die kleinen Leute von den großen Herren schon ab sind inne Kirche und waren so früh bei ihrer Herrschaft zurück, daß sie denen noch lecker Frühstück machen konnten, bevor die Herrschaft dann um 10 selbst n büschen beten gegangen is.“
Oder die Zigarrenmacher, eine Bronzestatue am Buntentorsteinweg. Das Denkmal erinnert an die „aamen Deubel“, die in dieser Gegend damals 14 Stunden am Tag Zigarren rollten, aber immer noch arm blieben. Dann haben die hier 1849 die erste Gewerkschaft Deutschlands gegründet, weil sie sich dachten, satt werden wir sowieso nicht, jetzt arbeiten wir für einen mit, der soll uns vorlesen, damit wir schlauer werden und das Sozialdemokratische in den Kopp kriegen.
Und kennen Sie eigentlich den kleinen Roland, den kleinen Bruder des Orginals auf dem Marktplatz? Ist Ihnen noch nie aufgefallen? na dann schauen sie sich mal auf dem Neuen Markt in der Neustadt um, da steht der kleine Roland nämlich mit Rüstung und Schwert und auch dem kleinen Krüppel zwischen seinen Füßen als Krönung auf dem Feuerlöschbrunnen.
45 solcher Details zeigt das Autorentrio, immer gleich designt von Wolfgang Jarchow. Jedes Thema beginnt auf der rechten Seite mit einem großformatigen Foto von dem „wo einer leicht überhin kuckt“ von Lothar Klimek, auf der linken Seite steht oben die plattdeutsche Anekdote, wie sie Oskar Weldmann spontan eingefallen sein soll (so berichten seine Co-Autoren). Darunter nimmt ein kleineres Foto einen aktuellen Bezug der Geschichte und des Details auf. So ist etwa zur Fiefenglocke der Blumenmarkt zu Füßen des Liebfrauenkirchturms zu sehen und zu den Zigarrrenmacher die kleinen Häuschen des Buntentors. Und ganz unten finden ganz Wißbegierige noch ein konventionelles Foto des besprochenen Objekts, mit einer seriösen Information darüber, daß etwa das Gewerbehaus 1619 erbaut wurde, einst als Festhaus der Gewandschneider und Tuchhändler diente und heute die Handwerkskammer beherbergt. Könnte sein, daß sich so auch Geschichtsmuffel solche Sachen mal merken können. Wenn nicht, ist auch nicht so schlim. Joachim Fahrun
Bremisches. Wo einer leicht überhin guckt. Hauschild, 96 Seiten mit 136 Abbildungen, 36 Mark
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