: Angst der Schöngeister vor dem bösen Vorwurf
■ Nach Sexismus-Vorwürfen gegen einen Dozenten soll die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie der Uni überarbeit werden
„Niemand ist hier für Sexismus oder Diskriminierung“, sagt Romanistik-Professor Klaus Zimmermann. „Aber was einem Kollegen hier geschehen ist, macht Angst.“ Das bestätigen zahlreiche KollegInnen aus dem Fachbereich 10, „Sprach- und Literaturwissenschaften“ an der Bremer Universität. Sie alle haben – mehr oder weniger dicht am Geschehen – von den „Untersuchungen“ gegen einen Spanischdozenten erfahren. Dieser mußte im Sommer zwei Gespräche mit Vorgesetzten über den Einsatz vermeintlich sexistisch-verletzenden Lehrmaterials führen. Das letzte Gespräch fand im Rektorat der Universität statt; da hatte der Beschuldigte schon einen Anwalt eingeschaltet. Kurz darauf wurde von höchster Stelle beschlossen, eine vom Fachbereichsrat trotz der Vorwürfe gewünschte Vertragsverlängerung des Lehrers an der Universität nicht zu gewähren.
Anlaß der Dienstgespräche und des Aufruhrs im Fachbereich waren vertrauliche Beschwerden, die StudentInnen an die „Arbeitsstelle gegen Sexuelle Diskriminierung und Gewalt am Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsplatz“ (ADE) gerichtet hatten (siehe taz vom 3.11.). Weil es in mehreren Fällen – und nicht zum ersten Mal – zu Beschwerden über das von diesem Dozenten eingesetzte Unterrichtsmaterial gekommen sei, „wurde im üblichen Verfahren das Gespräch gesucht“, bestätigt die Pressestelle der Uni. Doch selbst Fachkollegen, die an den Gesprächen beteiligt waren, sind mit der Gesprächsführung und dem Verfahren heute unzufrieden. Sie wollen die Antidiskriminierungsrichtlinie neu überarbeiten. Der Fachbereichsrat will am kommenden Mittwoch über einen Vorstoß zur Änderung des Verfahrens beraten.
Allgemein gilt als völlig unbefriedigend, daß weder derjenige, gegen den anonyme Vorwürfe laut wurden, noch die Vorgesetzten und Kollegen, die Gespräche mit ihm führen, erfahren, was konkret Gegenstand der Beschwerde war. Der in die Kritik geratene Dozent hatte Textauszüge, in denen sexuelle Anspielungen enthalten waren, vorgelegt, und Filme gezeigt. Dabei kam in einem eine Vergewaltigungsszene vor, im anderen Streifen einer spanischen Feministin wurde eine diskret angedeutete gynäkologische Untersuchung gezeigt. „Aber wenn man nicht mal weiß, daß es darum geht, kann man sich schwer verhalten“, sagt Klaus Zimmermann. „Was würden Sie denken, wenn Ihnen jemand sagt, Sie seien beim Ladendiebstahl beobachtet worden und sollten sich dazu mal äußern?“ Im Fachbereich herrsche das Gefühl, jedem könnte ein ähnliches Verfahren drohen, „zwei Drittel der Literatur handeln doch von Liebe und Erotik.“
Auch Fachbereichssprecher Professor Gerhard Pasternack ist mit dem Verfahren unzufrieden. Als Vorgesetzter müsse er die Sensibilisierungsgespräche mit Kollegen führen, „aber jeder könnte mir im Prinzip alles erzählen, wenn ich den Sachverhalt nicht kenne.“ Ohne die Kompetenz, auch Ermittlungen zu führen, sei das jetzige Verfahren wenig sinnvoll – zumal im Wiederholungsfall ohnehin das Rektorat eingeschaltet werde. „Dort sollten die Gespräche besser gleich angesiedelt werden“, sagt er.
Auf Recherchen der taz, nach denen verschiedene Dozenten das – übrigens von der spanischen Botschaft für Lehrzwecke bereitgestellte – Bild- und Tonmaterial eingesetzt haben, was Kritik erregte, reagiert er überrascht. Ebenso Spanisch-Studiengangssprecher Zimmermann – der in Zukunft „das corpus delicti“ lieber sichten will. „Wir leben in einem aufgeklärten Zeitalter. Die Beschuldigungen haben sich gegen Unterrichtsmaterial gerichtet – nie aber gegen anzügliche Gesten oder Kommentare des Dozenten.“ Es sei im Interesse aller festzustellen, ob sich jemand „oberhalb der zumutbaren Grenze bewegt“ habe – oder ob etwa Einzelpersonen mit ihren Beschwerden Befindlichkeiten zum Maßstab machten, „die an einer westeuropäischen Universität 1998 einfach nichts zu suchen haben.“ ede
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