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„Ich hätte alles still ertragen sollen“

Auf die Hilfe deutscher Behörden hoffte Fatima Z. vergeblich: Nachdem sie ins Frauenhaus floh, entführte ihr Mann den Sohn. Seit März hat sie ihn nicht mehr gesehen  ■ Von Elke Spanner

Für einen flüchtigen Moment weicht der Ernst einem Lächeln auf Fatimas* Gesicht. Sie erinnert sich an die ersten Wochen mit Ashraf. Heute kann sie es nicht mehr nachvollziehen. Doch damals, vor fast drei Jahren, da hat sie ihn geliebt. „Du brauchst dich dafür nicht zu schämen“, sagt Susanne Hausmann, Mitarbeiterin im Frauenhaus. Doch Fatima Z. blickt leicht verlegen zur Seite.

Sie weiß, daß sie richtig gehandelt hat. Ihre deutschen FreundInnen in dem Frauenhaus, in dem sie nun lebt, bewundern die zierliche 20jährige für ihren Mut. Doch andere sagen, sie habe einen großen Fehler begangen. Den Fehler, sich nicht länger von ihrem Mann mißhandeln zu lassen. Die Bekannten, die wie sie aus Ägypten oder auch aus Syrien oder Palästina stammen, mißbilligen ihre Flucht ins Frauenhaus. Sie werfen ihrem Mann Ashraf M. nicht vor, daß er gemeinsame Kind entführte. Sie fragen Fatima, was sie ihrem Mann angetan habe, daß er das tat. Fatima hat den Sohn seit März nicht mehr gesehen.

Auf die Hilfe dieser Bekannten kann Fatima nicht hoffen. Dabei würde sie die so dringend benötigen. Niemand weiß, wo ihr nun zweijähriger Sohn Ahab lebt. Er könnte in Kairo sein oder in Damaskus, auch der Gaza-Streifen käme in Frage. Den Ort kennt nur Ashraf. Der sagt, das Kind sei bei Fatimas Eltern. Die sagen, sie hätten Ahab nie gesehen.

Ashraf sitzt wegen Kindesentführung im Gefängnis. Anfang Juni wurde er strafrechtlich verurteilt. Das Gericht hat ihm großzügig Besuche gewährt, damit er die Rücckehr seines Sohnes organisieren kann. Als er Fatima mit dem Versprechen, etwas über den Aufenthaltsort des Sohnes zu erzählen, zu einem Besuch ins Gefängnis lockte, beschimpfte er sie nur, daß sie ihm kein Geld mitgebracht habe.

Fatima ist Opfer und Täterin zugleich – je nachdem, von welcher ihrer beiden Welten aus man es betrachtet. Während sie mit Ashraf zusammenlebte, wurde sie oft in der Wohnung eingesperrt, mußte hochschwanger nachts Zeitungen austragen und putzen gehen. Sie wurde geschlagen, gewürgt, bedroht. Dann wurde ihr das Kind weggenommen.

Doch für ihre muslimischen Bekannten ist sie „die Schlampe“, sagt Fatima. Als sie im Sommer verzweifelt Ashrafs Mutter in Damaskus anrief und sie bat, endlich zu sagen, wo Ahab sei, fragte die sie nur, was sie überhaupt alleine in Deutschland wolle. Sie solle zu ihrem Mann zurückkehren, dann und nur dann könne sie auch ihr Kind wiedersehen. „Ich hätte still ertragen sollen, daß er mich schlägt, oder zu meinen Eltern zurückgehen müssen“, sagt Fatima. „Aber verlassen durfte ich ihn nicht.“

Als sie im Januar 1996 nach Deutschland kam, schwelgte sie im Glück. Das ägyptische Dorf, aus dem die 20jährige stammt, ist klein, das Leben dort streng reglementiert. In Deutschland würde alles anders sein, glaubte sie. Ihr Mann Ashraf hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die deutsche Staatsangehörigkeit. Er würde „europäischer“ sein, sie freier. Seine Schwärmereien über Hamburg nährten Fatimas Träume von einem Leben, das nur in Deutschland möglich sein konnte.

Doch kaum hier angekommen, erkannte sie ihren Ehemann kaum wieder. Ashraf schickte sie arbeiten. Von dem Geld sah Fatima keinen Pfennig. Sie wurde schwanger, zum Arzt gehen durfte sie nicht. Auch Deutsch durfte sie nicht lernen, ihr Mann verweigerte ihr den Sprachkurs. Warum er sie heiratete, was er wirklich von ihr wollte, das weiß Fatima nicht.

„Er hat sie zum Arbeiten benutzt“, glaubt Susanne Hausmann, Mitarbeiterin im Frauenhaus. „Sie ging arbeiten, und als das Kind kam, kassierte er das Kinder- und Erziehungsgeld ein“. Fatima nickt zustimmend. Lange machte sie das alles mit. Als sie sich am 31. Dezember 1997 schließlich heimlich mit Ahab aus der Wohnung schlich und ins Frauenhaus floh, folgte die Bestrafung auf dem Fuße. Im Februar erstritt Ashraf vor dem Familiengericht ein Besuchsrecht für sein Kind. Beim ersten Treffen, am 7. März, flog er mit Ahab in den Nahen Osten, genaues Reiseziel: unbekannt. Der Hinflug ging über Beirut, zurück kam er aus Kairo. Von unterwegs rief er Fatima an und sagte, sie werde ihren Sohn nie wiedersehen.

Darauf angesprochen, welche Institutionen sie mittlerweile um Hilfe gebeten habe, zuckt Fatima fast spöttisch mit den Schultern. Susanne Hausmann zeigt auf eine Liste, die drei Seiten eines A5-Heftes füllt: Die Palästinensische Generalvertretung in Bonn ist informiert. Das Auswärtige Amt, das syrische Honorarkonsulat. Die Polizei sowieso. Bei der ägyptischen Botschaft hat sie nachgefragt, bei den deutschen Botschaften in Ägypten und Syrien, bei der palästinensischen Menschenrechtskommission in Gaza, dem Internationalen Sozialdienst in Frankfurt, dem Kinderschutzzentrum. Vergeblich. Die deutschen Behörden verweisen auf die AmtskollegInnen im Ausland, die schicken Fatima zu den deutschen Behörden. Ihr Sohn Ahab hat einen deutschen Paß.

„Niemand will mir helfen“, sagt die junge Frau. Es klingt nicht bitter, nur ratlos. Hausmann erzählt, daß sie sich von einem Abgesandten der palästinensischen Generalvertretung in Bonn den Rat geben lassen mußte, Fatima solle sich überlegen, ihrem Mann zu verzeihen, dann sähe sie ihr Kind vielleicht wieder. Der Rechtsanwalt von Ashraf M., Udo Jacob, mutmaßt sogar, daß Fatima die ganze Geschichte inszeniert habe könnte, „vielleicht steckt eine Familienfehde dahinter“. Ashraf hatte behauptet, Fatima habe sich extra von ihrem Schwager blutig schlagen lassen, um die Wunden Ashraf anhängen zu können.

Bei einem weiteren Gerichtstermin vergangene Woche hat Fatima erfahren, daß Ashraf sich das Sorgerecht für Ahab und ein „Betreuungsrecht“ für seine Mutter hat übertragen lassen, als er im März in Ägypten war. Lange hat Fatima über das ägyptische Konsulat versucht, genau dies herauszufinden. Immer hieß es, es sei nicht bekannt, ob Ashraf das in die Wege geleitet habe. Nun mußte sie von einem Hamburger Strafrichter erfahren, daß Ahab nach ägyptischem Recht nicht mehr zu ihr gehört. Aus der Bahn geworfen hat sie die Nachricht nicht. Dafür hat sie in den vergangenen Monaten schon zu viele Enttäuschungen erlebt.

* Name v. d. Red. geändert

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