: Hoffnung für Pleitefirmen
Ab 1999 gilt das neue Insolvenzrecht. Statt wie bisher vor allem die Forderungen der Gläubiger zu schützen, soll nun auf das Überleben der Betriebe geachtet werden ■ von Hermannus Pfeiffer
Hamburg (taz) – Pleitefirmen dürfen wieder Hoffnung schöpfen. Zukünftig läßt ihnen das deutsche Konkursrecht eine größere Überlebenschance. Die neue Insolvenzordnung zur Abwicklung von Firmenpleiten tritt am 1. Januar 1999 in Kraft. Wichtigste Neuerung: Nicht mehr die Zerschlagung einer angeknockten Firma durchzieht als roter Faden das Gesetzeswerk, sondern die Fortführung eines Unternehmens dient als Leitidee.
Das alte Recht hatte dagegen hauptsächlich den Schutz der Banken und Gläubiger gepredigt, wenn ein Unternehmen Insolvenz, also Zahlungsunfähigkeit, anmeldete. Die Kreditgeber genossen bislang „Konkursvorrechte“, analysiert der Wirtschaftsprüfer Gerhard Heim. Damit ist es nun vorbei: „Gläubiger haben nicht mehr die Möglichkeit, Sicherheiten vorab aus dem Unternehmen herauszulösen.“ Dadurch werden die bisherigen Erste-Klasse-Gläubiger etwa ein Viertel weniger aus den Konkursen erlösen können, schätzt Heim. Zugleich wachse aber auch die Chance auf einen Vergleich oder ein Verfahren, welche ein Fortbestehen von Fast- Pleitefirmen sichern helfen, weil die Banken nun eher daran interessiert sind, daß ein Betrieb trotz seiner Schwierigkeiten überlebt.
Am vergangenen Donnerstag hat nun der Bundestag letzte „redaktionelle Nachbesserungen“ am Gesetz gebilligt. Das Reformwerk war bereits im Oktober 1994 nach jahrelangen heftigen Streitereien in Politik und Wirtschaft beschlossen worden. Damit orientiert sich nun auch das in seinem Kern bereits 120 Jahre alte deutsche Recht an der Praxis in Großbritannien und USA. „Schutz vor den Gläubigern“, so Jörg Huffschmid, lautet dort die Devise bei den Insolvenzen. Der Experte für internationale Ökonomie hält es für „vernünftig, wenn fortan kleine Krauter die Banken nicht mehr am Hals haben“.
Wie sich allerdings im Konkreten die 335 Paragraphen der neuen Insolvenzordung als Sanierer bewähren werden, bleibt heute noch weitgehend offen. Die Gewerkschaften zum Beispiel fürchten auch Nachteile für die Beschäftigten in Unternehmen, die kurz vor der Pleite stehen. So hat Michael Schoden vom DGB Angst, daß künftig bei Zahlungsschwierigkeiten des Betriebs sofort Mitarbeiter entlassen werden und die Macht der Insolvenzverwalter weiter wächst. Bislang konnten sich die Lohnabhängigen in der Pleitenpraxis häufig drei Monate lang mit dem sogenannten Konkursausfallgeld des Arbeitsamts finanziell über Wasser halten. Drei Milliarden Mark an öffentlichen Geldern sollen dafür in diesem Jahr geflossen sein. Dadurch konnte dann im Regelfall drei Monate lang weiterproduziert werden. Die Bundesanstalt für Arbeit refinanziert ihre Lohnhilfe über die Berufsgenossenschaften.
In den neunziger Jahren haben sich die in einem Insolvenzverfahren abgewickelten Zusammenbrüche verdreifacht: Gingen 1991 „nur“ 8.837 Firmen pleite, werden es in diesem Jahr etwa 29.000 sein. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Top-Crashs: Unterhalb dieser Konkurse, von denen allerdings laut des Unternehmens „Creditreform“, das die Kreditwürdigkeit von Firmen beurteilt, hauptsächlich „mittlere und kleinere“ Unternehmen getroffen werden, haben sich viele Kleinstbetriebe mit bis 12 Beschäftigten meist still und leise verabschiedet. Die weitaus meisten Insolvenzen gab es laut diesen Zahlen bei Unternehmen mit einem Umsatz zwischen einer und fünf Millionen Mark. 704.500 Löschungen von Betrieben aus den amtlichen Registern hat Creditreform bis Anfang Dezember registriert. 500.000 Menschen haben demnach dadurch ihre Arbeit verloren.
Die neue Insolvenzordnung schafft außerdem erstmals die Möglichkeit eines „Verbraucherkonkurses“. Dadurch können sich auch private Haushalte unter bestimmten Umständen von ihrer Schuldenlast befreien, für die bisher das Urteil „lebenslänglich“ galt.
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