: Elegien auf der Duduk
■ Die letzte Musik-Entdeckung zum 1. Mal in (West)Deutschland: Der Armenier Djivan Gasparyan spielte im RB-Sendesaal
Das Schlagwort „Weltmusik“ kommt langsam aus der Mode. Alle paar Monate gab es neue Frauenchöre aus dem Balkan, Sänger aus Alaska oder indianische Trommelworkshops zu entdecken, und es war längst nicht alles gut, nur weil es so exotisch klang. Inzwischen sind wohl bald alle Kulturen nach ihren größten musikalischen Talenten durchforstet, und die Weltmusik-Sucher Brian Eno oder Peter Gabriel müssen sich mittelfristig wieder etwas Eigenes einfallen lassen.
Ein ganz großes Talent haben die beiden allerdings noch für den Westen entdeckt: Der armenische Duduk-Spieler Djivan Gasparyan ist noch weitgehend unbekannt, obwohl er schon in Hollywood an den Soundtracks der Filme „The Russia House“ und „The Crow“ mitgearbeitet hat. Sein Konzert am Sonntag abend im Sendesaal von Radio Bremen war sein erster öffentlicher Auftritt in der BRD. In der DDR war er in den 70er Jahren einmal mit einem - ihhh - Symphonieorchester aufgetreten. Hier war er statt dessen im Trio mit Ararat Dallakyan und Ashot Ghazaryan zu hören, und alle drei Musiker spielten während des größten Teils des Konzerts auf den Blasinstrumenten aus Aprikosenholz, den Duduks. Diese haben einen ganz eigenen, sehr warmen Klang, der irgendwo zwischen Klarinette und Oboe angesiedelt ist.
Die Baß-Duduk erinnert ein wenig an ein Waldhorn. Die Begleitmusiker spielten meist langanhaltende Grundtöne, die sogenannten Dronen, und durch Zirkulationsatmung konnten sie viele Minuten lang blasen ohne abzusetzten. Gasparyan schwang sich von diesem stetigen Summen zu wunderschön elegischen Improvisationen auf. Er verschmolz dabei so mit seinem Instrument, daß man ihn fast singen zu hören glaubte, und die große Vir-tuosität wurde nie herausgekehrt. Die Musik war bei aller Tiefe betont einfach, erschloß sich unmittelbar den ZuhörerInnen und kam tatsächlich, wie der Veranstalter mit dem Motto des Konzerts versprach, „aus der Stille“.
Diese getragenen Balladen waren jeweils die Höhepunkte des Konzerts, leicht irritierend wirkten dagegen die schnelleren Stücke, mit denen der Musiker das Programm etwas aufheitern wollte. Zum Teil wurden da Vorformen der Polka interpretiert, und die Baßlinie der tiefen Duduk hüpfte dabei rührend komisch. Andere Stücke waren ganz schlichte Volksweisen, wie sie bei uns eine bayerische Trachtenkapelle zünftig aufspielen würde. Spannend dabei war, daß Gasparyan diese genauso intensiv spielte wie seine Elegien. Da gab es keinerlei Gefälle: Dies war Volksmusik in einem so umfassenden Sinne, daß wir beim Zuhören an unsere Vorurteile und Geschmacksgrenze stießen.
Zwei Stücke spielten Dallakyan und Gasparian begleitet von Ghasaryans Trommel auf der Zurna, einem Blasinstrument mit dem quäkenden Ton, der typisch für Musik aus dem Orient ist.
Auf kleinen Holzflöten imitierten die beiden zudem Vogelstimmen und zwitscherten um die Wette. Ein schönes Intermezzo, aber solche Possen machen virtuose Flötenspieler wohl überall auf der Erde. Jeweils zum Abschluß der Sets sang Gasparyan noch mit seiner Tenorstimme Hymnen und Heldenlieder voller Leidenschaft und vokalistischer Verzierungen. Aber hier wurde einem bewußt, daß man den Text nicht verstand. Auf der Duduk konnte Gasparyan die kulturellen Hürden viel eleganter und intensiver überfliegen.
Wilfried Hippen
Die Aufzeichnung ist voraussichtlich Anfang Februar in der Reihe „Live in Bremen“ auf Radio Bremen 2 zu hören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen