Auch die PDS hat jetzt ihre Halo Saibold

Die Parteispitze ist über den privaten Vorstoß ihrer rechtspolitischen Sprecherin im Bundestag für eine Haftentschädigung verurteilter DDR-Funktionäre ähnlich verwirrt wie einst die Grünen über ihre Abgeordnete Saibold  ■ Von Jens König

Berlin (taz) – Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück – mit der Umkehrung der alten Leninschen Taktik reagiert die PDS-Spitze auf den Vorschlag einer Amnestie für verurteilte DDR-Staatsbedienstete. Sowohl Parteichef Lothar Bisky als auch Fraktionschef Gregor Gysi unterstützten gestern grundsätzlich die Idee einer Begnadigung. Gleichzeitig lehnten sie aber den Vorschlag ihrer rechtspolitischen Sprecherin im Bundestag, Evelyn Kenzler, ab, verurteilte DDR-Funktionäre zu entschädigen.

Bisky und Gysi versuchten mit dieser Vorwärtsverteidigung ihren Frust über den Alleingang Kenzlers in den Griff zu bekommen. Keiner in der PDS kann erklären, was die 36jährige Anwältin aus Berlin geritten hat, in einem dpa- Gespräch über das geplante Amnestiegesetz eine Haftentschädigung von 600 Mark für jeden Monat im Gefängnis ins Spiel zu bringen. Von dem Gnadenakt wären Juristen, Armeeangehörige sowie Politiker betroffen, darunter auch der letzte SED-Chef Egon Krenz, sagte die rechtspolitische Sprecherin und lud damit die Journalisten zu Hochrechnungen ein: Sollte sich die PDS durchsetzen, hieß es, würde der frühere DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler eine Haftentschädigung von rund 30.000 Mark erhalten, der Chef der DDR-Grenztruppen, Klaus Baumgarten, sogar 45.000 Mark.

Der Vorschlag sei Kenzlers Privatmeinung, hieß es gestern in der Partei. Weder im Bundesvorstand noch in der Fraktion sei bisher über einen Gesetzesentwurf diskutiert worden. Die Halo Saibold der PDS gab über ihre Motive gestern keine Auskunft. Die grüne Bundestagsabgeordnete Saibold hatte vor Monaten ihre Partei mit dem Vorschlag, nur noch alle fünf Jahren in den Urlaub zu fliegen, ähnlich ratlos zurückgelassen

Bei der PDS in Bonn wird Kenzlers Vorstoß als kontraproduktiv bewertet. Damit sei möglicherweise die kleine Chance vertan worden, für das Amnestiegesetz Verbündete in anderen Parteien zu gewinnen, heißt es. Denn daß die PDS eine Amnestie anstrebt, ist eigentlich unumstritten. Im November 1997 ist sie im Bundestag mit ihrem Gesetzentwurf zur Beendigung der Strafverfolgung in Ostdeutschland gescheitert.

„Wir bleiben bei dieser Auffassung“, so Parteichef Bisky gegenüber der taz, „daß die politische Strafverfolgung kein Mittel der Auseinandersetzung mit der DDR ist.“ Mit Blick auf den 10. Jahrestag des Endes der DDR wäre „eine Art Amnestie“ ein Zeichen der Versöhnung zwischen Ost- und Westdeutschen. Über die Einzelheiten eines solchen Gnadengesetzes werde in der PDS gegenwärtig diskutiert. Die Frage der Haftentschädigung, so Bisky, habe damit aber überhaupt nichts zu tun.

Die gestrigen Reaktionen der anderen Bonner Parteien zeigen, daß die PDS mit ihrer Forderung nach einer Amnestie im Bundestag keine Chance hat. Das Urteil reicht von „Mißachtung des Grundgesetzes“ (SPD) bis hin zu „zynische Idee“ (Grüne).