Das Portrait: Er will alles auf den Prüfstand stellen
■ Jochen Welt
Die Erinnerung ist noch frisch. „Wenn man Opposition ist, wandert vieles an Vorschlägen in den Papierkorb.“ Für Jochen Welt ist die Zeit des Frusts vorbei. Nachdem sich der SPD-Abgeordnete jahrelang im Innenausschuß mit Aussiedlerpolitik beschäftigt hat, kann er jetzt als neuer Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung seine Vorstellungen umsetzen. Ruhig spricht der 51jährige, unaufgeregt, und über seinen Vorgänger Horst Waffenschmidt (CDU) kommt ihm kein scharfes Wort über die Lippen. Doch seine Pläne sind radikaler, als es der Tonfall verrät.
Muß nicht mehr für den Papierkorb arbeiten: Jochen Welt Foto: taz-Archiv
Als „ersten Arbeitsschwerpunkt“ hat er angeordnet, „alle Projekte auf den Prüfstand zu stellen“. Mit Finanzfragen kennt Welt sich aus, nicht zuletzt weil er seit 1987 Bürgermeister von Recklinghausen ist. Haben die mehreren hundert Millionen Mark, die Horst Waffenschmidt in den letzten Jahren als Fördergelder in Osteuropa verteilen ließ, wirklich geholfen, potentiellen Aussiedlern das Bleiben zu erleichtern? Welt ist skeptisch. „Wenn man ein riesengroßes deutsches Kulturzentrum baut, während bei den Einheimischen in der Nähe erhebliche Not herrscht, dann schafft das nicht nur Freunde.“ Neid zu schüren zwischen Russen und Rußlanddeutschen könne kein Ziel der Bonner Politik sein. „Im Interesse der Betroffenen wie der Steuerzahler“ soll eine eigene Arbeitsgruppe die bisherige Förderpolitik durchleuchten.
Stärker als die alte Regierung will der Neue im Amt auf die Integration der Ankömmlinge in Deutschland setzen. Daß sich Rot-Grün nicht auf einen gemeinsamen Integrationsbeauftragten für Aussiedler und Ausländer verständigen konnte, hält Welt für unproblematisch. Kritiker sehen das anders. Sie hatten gehofft, Rot-Grün könnte sich vom Blutsrecht nicht nur im Staatsangehörigkeitsrecht verabschieden, sondern auch Zuwanderer nicht länger nach Ethnien in Fremde und Deutsche unterteilen.
Der neue Aussiedlerbeauftragte will in den nächsten Wochen immerhin mit der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck (Bündnisgrüne) über Formen der Zusammenarbeit reden. „Schnittmengen“ sieht er bei den Integrationsangeboten für beide Gruppen, etwa im Sprachunterricht. Der frühere Sozialarbeiter meint: „Bei beiden geht's doch drum, daß sie sich nicht abkapseln.“ Patrik Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen