: Spreeblick leider nur auf Zeit
■ Wegen der Aussicht sind viele Mieter ans Treptower Ufer gezogen. Jetzt sollen ihnen zwei neue „Twin Towers“ vor die Nase gebaut werden
Die Bewohner der neuen Wohnkarrees an der Fanny-Zobel- Straße in Treptow haben etwas, wovon andere nur träumen: Spreeblick. Doch die Spreeblicktage sind gezählt. Die traumhafte Aussicht der neuen Bewohnern, ist dazu verdammt, sich in den Alptraum einer dreckigen, lärmenden Baustelle zu verwandeln. Der Spreeblick soll nach und nach durch einen massiven Hochhausblick ersetzt werden. Bauherr Roland Ernst will bauen – direkt vor den schönen Panoramafenstern.
Zwei weitere „Twin Towers“sollen auf dem nur 30 Meter schmalen Uferstreifen in den Himmel wachsen. Anstatt Spree wird man insgesamt vier Hochhaustürme mit jeweils 18 Stockwerken bewundern können. So will es die Freie Planungsgruppe Berlin (FPB), die für das Ufergelände städtebaulich verantwortlich zeichnet. Dem Vorwurf des Panoramadiebstahls entzieht sich die FPB anhand bizarrer Argumente.
„Es wird ja nicht alles zugebaut“, versucht FPB-Planer Johannes Fehse zu beruhigen. „Man kann da immer noch zwischen den Türmen hindurch sehen.“ Im übrigen müsse ja auch nicht immer jeder einen freien Blick aufs Wasser haben. Daß mancher aber nur deshalb ans Treptower Ufer gezogen sein könnte, bleibt dem Planer verborgen. Statt dessen überrascht er mit einem weiteren Pro-Hochhaus-Argument. Die neuen Gebäude, so Fehse, könnten sogar den kalten Nordwind abhalten.
Ab wann sich die Bewohner über die neuen Windfänger freuen sollen, ist noch unklar. Die Roland-Ernst-Gruppe ist zwar entschlossen zu bauen, aber erst, „wenn es der Markt zuläßt“, wie Sprecherin Sonja Brandt-Michael sagt. Der Vermieter, die Wohnungsbaugesellschaft Arwobau, weiß dagegen von gar nichts. Geplant sei „erst mal eine Uferpromenade“, versichert Arwobau- Vermieter Jan Rother. Weitere „Twin Towers“ hält er für „unlogisch“, da der erste seiner Art jetzt auch halb leer am Ufer stehe. Den neuen Mietern hat die Arwobau dann auch erzählt, daß in den nächsten fünf Jahren nichts mit der Freifläche passieren werde. Und die Mieter glauben daran. So wie Manfred Biller, der vor vier Wochen hierher gezogen ist. Er hält die Pläne auch für „blanken Unsinn“ und fürchtet nicht um seine Aussicht.
Nadine Slavik hingegen hat das drohende Unheil erkannt und ist entsetzt. Noch mehr Hochhäuser vor ihrer Haustür fände sie schlicht und ergreifend „beschissen“. Nur Gabriele Justmann sieht dem Zuwachs gelassen bis fröhlich entgegen. Sie hat vor einigen Tagen einen Kiosk in dem Neubauviertel eröffnet und hofft seitdem auf Kundschaft. Mit oder ohne Spreeblick. Thomas Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen