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Sprachlosigkeit nach Sprachtest

Untersuchung der Sprachkompetenz aller ErstkläßlerInnen im Wedding brachte alarmierende Ergebnisse. Statt pädagogischer Maßnahmen wird weiter untersucht  ■ Von Julia Naumann

Auf der ersten Berliner Innenstadtkonferenz Ende April war es das wichtigste Thema. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), der die Konferenz initiiert hatte, um gefährdete Innenstadtbezirke vor dem „Umkippen“ zu bewahren, forderte obligatorische „Sprachtests“ für GrundschülerInnen nichtdeutscher Herkunft. So solle zukünftig entschieden werden, ob die Kinder in Regel- oder Förderklassen eingestuft werden.

Für diesen Vorschlag wurde Diepgen heftig kritisiert: Der liberale Türkische Bund bemängelte, daß Diepgens Vorschläge „nichts Neues“ seien und „nicht tauglich“, die Probleme zu lösen. Die Messungen wurden „sehr schnell und sehr übereilt“ wieder zum schulpolitischen Thema, sagt auch Andraes Pochert, pädagogischer Berater für interkulturelle Angelegenheiten in Wedding, wo rund 40 Prozent der Kinder nicht Deutsch als Muttersprache haben.

Sprachstandsmessungen gab es in Berlin bereits bis Mitte der 80er Jahre. Ohne großen Erfolg und vor allen Dingen ohne große Konsequenzen, wie die Bereitstellung von Fördermitteln und Fortbildungsmaßnahmen: „Sie sind irgendwann nicht mehr angewandt worden, weil das Thema politisch als erledigt betrachtet wurde“, so Pochert. Nach Diepgens Vorstoß wurde Wedding flugs als „Testbezirk“ ausgewählt. Dort mußten sich erstmals alle ErstkläßlerInnen in diesem Schuljahr einer „Sprachstandsmessung“ unterziehen. Es habe sich jedoch nicht um einen „Sprachtest“ gehandelt, so wie Diepgen es gefordert hatte, sagt Pochert, der das Konzept, das ein Düsseldorfer Institut in den 70er Jahren entwickelte, überarbeitet hat. Die Erhebung sei lediglich eine Ergänzung zur allgemeinen Bewertung der Sprachreife.

In einer zwanzigminütigen Überprüfung mußten die Abc- Schützen zeigen, ob sie 100 Wörter aktiv und passiv beherrschen. Je nach Punktmenge wurden Bewertungen von „sehr guten“ bis „ausreichenden“ Sprachkenntnissen verteilt. Die Ergebnisse sind nicht erfreulich: Rund die Hälfte aller 1.594 ErstkläßlerInnen in Wedding benötigen zusätzlichen Förderunterricht. Elf Prozent dieser SchülerInnen sind nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen, und müßten deshalb intensive Deutschkurse besuchen. Die Leistungen der Kinder sind sehr unterschiedlich: Während die ErstkläßlerInnen deutscher Herkunft zehn Prozent über dem Gesamtdurchschnitt liegen, liegen die der Nichtdeutschen, die jedoch fast alle in Deutschland geboren wurden, um sieben Proent unter dem Durchschnitt.

Koordinator Pochert fordert jetzt genauso wie der Weddinger Schulstadtrat, zusätzliche Fördermittel für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache und Fortbildungskurse für ErzieherInnen. Doch damit sieht es schlecht aus: Die Berliner Schulsenatorin Stahmer (SPD) hatte bereits nach der Innenstadtkonferenz 50 zusätzliche LehrerInnenstellen für Förderunterricht bereitgestellt, bei dem immensen Bedarf ein Tropfen auf dem heißen Stein. Weitere Finanzspritzen sind nicht in Sicht.

Statt dessen ist geplant, die Sprachstandsmessungen auf weitere Innenstadtbezirke auszuweiten, obwohl die Ergebnisse ähnlich sein werden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert das: „Natürlich ist es wichtig, den Sprachstand eines jeden Kindes zu erfassen“, sagt GEW-Mitarbeiterin Sanem Kleff, zuständig für multikulturelle Angelegenheiten. Jedoch müsse dies viel differenzierter geschehen und bereits im Kindergarten und den Vorklassen anfangen. Denn auch dort besteht dringender Handlungsbedarf: 90 Prozent aller untersuchten Weddinger Kinder haben durchschnittlich drei Jahre einen Kindergarten besucht. Der Spracherwerb wird in Kindertagesstätten also nicht unbedingt verbessert. Deshalb fordert Kleff, daß Deutsch als Zweitsprache grundlegender Bestandteil der ErzieherInnen- und LehrerInnen- Ausbildung wird.

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