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Wie Online-Leser tickenDressieren Sie sich den Ehemann!

Online-Rankings, Listen und die Messung von Klickzahlen im Internet machen es möglich: Endlich wissen auch Print-Autoren, wie man einen Hit-Artikel schreibt.

Wettbewerb belebt ja das Geschäft, und nur die Konkurrenz um Spitzenpositionen führt zu Höchstleistungen - das ist so ziemlich das Grundcredo der marktwirtschaftlichen Religion. Deshalb gibt es jetzt auch überall Rankings und Evaluierungen. Wenn das Credo stimmt, müsste auch der Journalismus eigentlich immer besser werden. Denn mit der Einführung des Internets, den Such-Robotern und den computergestützen Rankings haben Autoren nun sichere Standards zur Hand, ob sie besser sind als andere.

"Kürzlich", schreibt Princeton-Ökonom und New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman, "habe ich von langgedienten Times-Reportern erfahren, dass sie einem schändlichen Laster anhängen: Sie kontrollieren die Position ihrer Artikel auf der Most-e-mailed-Liste. Es ist eine schreckliche Art, deine Arbeit zu beurteilen - aber die Versuchung ist unwiderstehlich." Jede Zeitung hat einen Internet-Auftritt, und praktisch überall gibt es eines dieser Tools, das sichtbar macht, welche Texte die Aufmerksamkeit interessierter Leser fanden und welche ungelesen wie Ziegel in den Abgründen des World Wide Web liegen. Es gibt die "Most-e-mailed"-Listen wie bei der New York Times, die Rankings der meistgelesenen Texte wie bei der taz oder die Anzeige der Anzahl an Postings debattenfreudiger Leser wie beim Wiener Standard. Rangiert man unter "ferner liefen" oder animiert man nur eine Hand voll Leser zu Kommentaren, hat man offenbar wieder einmal am Publikum vorbeigeschrieben. Blogger, die Meister der schnellen Form, können ohnehin die Anzahl der Zugriffe jederzeit kontrollieren. Aber auch für das betuliche Geschäft des Bücherschreibens gibt es Vergleichbares: Bei Amazon lässt sich jederzeit der aktuelle Verkaufsrang nachprüfen.

Das verbessert natürlich ungemein das Gespür der Autoren dafür, was zieht und was nicht. Wenns um Religion geht, dann ist obsessives Publikumsinteresse garantiert, Islam und "die Ausländer" sind auch sehr gefragt. Sex sells ohnehin immer, die Rauchverbot-Kontroverse auch, und Bluttaten sind Quotengaranten. Grundsätzlich gilt: Männer-Frauen-Kisten ziehen und Tiergeschichten ebenso. Am besten, man kombiniert beides. Einer der meistgelesenen Artikel aller Zeiten war "What Shamu Tought Me About a Happy Marriage" ("Was mich Shamu über eine glückliche Ehe lehrte") aus der New York Times, in dem die Autorin Amy Sutherland am Beispiel des dressierten Killerwales Shamu aus Sea World zeigt, dass man auch Ehemänner abrichten kann. Der wurde wie wild im Web herumverschickt.

Als Journalist hat man heute Daten genug bei der Hand, gewissermaßen ein deppensicheres Manual, wie man einen Hit-Artikel schreibt. Vor allem die Schlagzeile muss stimmen, "und solange sie halb ehrlich ist, ist es schon okay", schreibt Jack Shafer, der Medienredakteur des Online-Magazins "Slate". Auch hierfür ist das Shamu-Stück ein wunderbares Exempel: Der Orca kommt nur in der Überschrift vor, im Text aber nicht. Amy Sutherland hat sich eingehend mit den Dressurtechniken für exotische Tiere befasst, für Hyänen, Elefanten, Tiger, und sich bei ihrer Recherche irgendwann die Frage gestellt, ob das nicht auch bei Scott funktionieren könnte - ihrem Ehemann.

Sie hat dann begonnen die Grundprinzipien auf den Gatten anzuwenden, die da wären: Belohne erwünschtes Verhalten und ignoriere unerwünschtes Verhalten. Unerwünschtes Verhalten lässt sich am besten abtrainieren, indem man anderes Verhalten antrainiert, das das unerwünschte verunmöglicht. Und so weiter. "Wenn Scott sein schmutziges Hemd in den Wäschekorb warf, bekam er einen Kuss." Sutherland halfen ihre Studien aus der Tierwelt auch, ihren Blick auf den Gatten zu verändern. "Ich habe mir das Motto der Trainer zu Eigen gemacht: 'Es ist niemals die Schuld des Tieres'." Das steigerte auch ihre Nachsicht mit den schlechten Eigenschaften ihres Ehemannes.

Das ist natürlich sehr komisch alles - aber für sich genommen nur anekdotisch. Erst der Umstand, dass so etwas das Publikum offenbar extrem elektrisiert, gibt dem Text diagnostische Wucht. Wir neigen dazu, unsere Umgebung zu anthropormophisieren, Tieren oder sogar unbelebten Dingen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Lassie, Flipper, Free Willy. Im Umkehrschluss werden den Liebsten tierische Eigenschaften zugeschrieben: Der eine liebt sein "Häschen", die andere ihr "Bärchen". Fast glücklich kann sich schätzen, wer ein "Tigerkätzchen" daheim hat. Und noch etwas sollte man nicht vergessen: Sutherlands Text handelt vielleicht nicht zufällig von der Dressur des Ehemannes durch die Ehefrau. Die manipulative Raffinesse gilt ja schon immer als die Stärke der Frau, die Dummheit, sich manipulieren zu lassen, als die Schwäche des, wie sagte man einst, "starken Geschlechts". Hinzu kommt: Würde man die umgekehrte Geschichte erzählen, so nach dem Motto, "so dressieren Sie sich die perfekte Ehefrau", wäre das sehr politically incorrect. So etwas kann man heute nur mehr über Männer erzählen.

Natürlich hat das alles eine stark ironische Seite. Ob die Dressurtechniken bei Lebensgefährten wirklich perfekt funktionieren - na, Sie können es ja mal ausprobieren. Aber bei einer Spezies funktionieren sie mit Sicherheit: bei Journalisten. Die lernen nämlich schnell, was mit Aufmerksamkeit belohnt wird. Und was ignoriert wird. Deshalb müssen Sie, liebe LeserInnen, so viele Beziehungs- und Tiergeschichten lesen. Das ist Ihr Verdienst. Denn erinnern wir uns an das Motto der Trainer: Es ist nie die Schuld des Tieres.

Es ist alles nur eine Frage des Wettbewerbs. Und Wettbewerb, das wissen wir aus der Ökonomie, steigert die Qualität.

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