All Glitz, No Glory

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen oder Wenn man in Manhattan tatsächlich von New Jersey träumt: Mark Christophers Spielfilmdebut „Studio 54“  ■ Von Brigitte Werneburg

Andy war jeden Abend da. Und Truman Capote. Für ihn war's der Nachtclub der Zukunft. Weil es hier, wie er meinte, keine Schranken mehr gab, weder in sexueller noch in ethnischer Hinsicht. Man muß es gehört haben, wie er „ethnically“ sagt. Verächtlich, gequält, ungeheuer prononciert. Es ist ein Wort, das er haßt; das auszusprechen er aber nicht umhin kann, will er jene Revolution benennen, die ihm den großen Spaß brachte. Selbstverständlich log Truman Capote. Denn es gab Schranken. Verbürgt ist jedenfalls die eine, entscheidende, am Eingang; die berüchtigte rote Kordel, die den Laden, den er da so pries, überhaupt erst zum Stadtgespräch machte. Nicht jeder wurde durchgewunken, in Manhattan, 254 West, 54. Straße, auf daß er oder sie Einlaß erhalte ins Studio 54, ins Paradies. Aber die huldvolle Geste, das „come in“ Steve Rubells konnte jedem gelten. Auch einem Tankwart aus New Jersey...

Das Interviewschnipsel mit Capote findet sich in Horst Königsteins Dokumentarfilm „Nackte Tanzlust“, der im Mai dieses Jahres vom NDR ausgestrahlt wurde. Dort sagt der ehemalige Mitbetreiber des Studio 54, Ian Schrager, Uraltfreund des legendären Steve Rubell: „Ursprünglich stammte die Idee, beim Eingang eine Auswahl zu treffen, gewisse Kriterien zu haben, von den Schwulenclubs. Da wollte man, daß das allgemeine Publikum draußen bleibt.“ Hätte sich Regisseur und Drehbuchautor Mark Christopher nur über den letzten Satz Gedanken gemacht, dann wäre ihm „Studio 54“ nie passiert. Fürs Kino hätte es keinen Verlust bedeutet.

Wenn Walt Disney die Türen weit aufreißt

Auch wenn es so gut wie nie geschieht, daß sich ein aufwendiger Hollywood-Spielfilm gegenüber einer ARD-Dokumentation als lahme Ente erweist: „Studio 54“ versus „Nackte Tanzlust“ ist exakt dieser Fall. Das Geheimnis des Studio 54 bestand eben darin, daß tout le monde – warum auch immer – vom brennenden Wunsch beseelt war, dahinterkommen zu müssen. Es bedurfte der Kordel. Es bedurfte der Schranke. Wenn also Miramax/Walt Disney jetzt die Türen ganz weit aufreißt, damit bitte, bitte jeder in „Studio 54“ geht und sich das ansieht, den Glitz an' Glam, dann kann nur etwas faul sein. Schon weil, wo Disney drauf steht, gutes Amerika drin sein muß. Doch im Studio 54, da war einfach zuviel Europa drin, zuviel Adel, zuviel Sex, Drogen, Schwule, Schwarze. Dagegen hilft nur entschiedene Distanzierung.

Und so wird ausgerechnet New Jersey zum Dreh- und Angelpunkt. Einerseits will man, genauer der Tankwart Shane O'Shea (hübsch, farblos, Ryan Phillippe) unbedingt von dort weg. Erst Manhattan erobern und damit die Welt, von der Serienheldin und „Studio-54“-Gängerin Julie Black (ebenfalls hübsch, ebenfalls farblos, Neve Campbell) ganz zu schweigen. Andererseits, als sich schließlich herausstellt, daß auch sie nur ein Mensch und dazu nett, keusch und clean ist, trifft man die Seifenoperndarstellerin schon wieder wo? – Natürlich in New Jersey! An Weihnachten, auf dem Weg zur Familie. Wer hätte drauf gewettet, daß die Disco-Ära Stoff für ein Heimkehrerdrama liefert?

Doch schlimmer, wenn „Studio 54“ wenigstens das wäre. Die Saga von den toten Helden, den Überlebenden, den Siegern und ihren Hymnen (wobei die besten auf dem Soundtrack fehlen). Von denen, denen dort die Lichter aufgingen so wie dem Disco-Mond, wenn der Löffel mit dem Pulver von der Decke herabschwebte und er einmal kräftig die Nase hochzog. Madonna war auch da. Es gibt Studio-54-Fotos von ihr, die damals noch ein Szenemädchen war – freilich nur, weil sie sich neben William S. Burroughs schon mal richtig plaziert hatte. Kam sie nicht auch aus der Provinz? Dem Suburb wie New Jersey? Und hat sie, was sie dorte lernte, der Welt nicht mit großem Erfolg verkauft?

Schlechtes Mittel zum schlechten Zweck

Mark Christopher verschleudert die Lektionen zu Ausverkaufspreisen. Mißgunst kommt eben vor dem großen Gähnen. Er soll ja intelligente und daher viel gelobte Kurzfilme zum Coming-out gedreht haben. Doch jetzt ist schwuler Sex nur noch schlechtes Mittel zum schlechten Zweck. Wer aufsteigen will vom Kellner zum Barmann, der muß eben Steve Rubell (großartig, Mike Myers) zu Gefallen sein. Okay, verstanden. Wir sind entsetzt. Und gar nicht amüsiert. Aber sollte es nicht genau ums Amüsement gehen? Auch wenn das zunächst gar nicht so einfach war, wie Christopher Makos, Fotograf aus Andy Warhols Entourage, zugibt: „Ja, erst hab' ich zwar nicht gewußt, wie man sich amüsiert. Aber ich hab' einfach anderen Leute dabei zugesehen, wie die sich amüsiert haben, und mir dann gesagt, ach, so geht das. Und dann hab' ich versucht, mich genauso zu amüsieren. Und das hat wohl auch funktioniert.“ Understatement statt New Jersey, das wär's gewesen.

„Studio 54“. Buch und Regie: Mark Christopher. Mit Ryan Phillippe, Mike Myers, Neve Campbell u.a., USA 1998, 93 Min.