: Ein trauriger Cowboy ohne Pferd
Muß Christoph Daum jetzt verdursten? Nach dem desillusionierenden 0:2 in München hat Leverkusens Trainer Mühe, von irgendwem auch nur noch ein Glas Wasser zu bekommen ■ Von Holger Gertz
München (taz) – Es gibt so Tage, an denen wagt man sich besser nicht aus dem Haus, an denen bleibt man am besten im Bett; Decke drüber und warten, bis es vorbei ist. Christoph Daum war aufgestanden am Sonntag. Das war der Fehler. Deswegen kam es zu Begegnungen wie dieser, die Pressekonferenz nach dem 0:2 war gerade vorbei. Daum flüchtete vor den Reportern an einen Tresen und gab seine Bestellung auf: „Ein Wasser, bitte.“ Die Schankfrau hatte keine Lust, ihn zu bedienen: „Wasser? Das können Sie sich da hinten aus dem Kühlschrank nehmen!“ Was soll man da noch sagen? Daum sagte: „Wenn Sie mal nach Leverkusen kommen, zeige ich Ihnen, wo bei uns der Kühlschrank steht.“
Christoph Daum zu Gast beim FC Bayern, das kann ja nichts werden. Mit Köln war er da, mit Stuttgart, mit Leverkusen, und selten hat er was ausrichten können. „Der VfB Stuttgart hat hier 21 Jahre nicht gewonnen“, sagt Daum. „Und als ich weg war, haben sie mit Jürgen Röber gleich den ersten Sieg geholt.“ Das ist seine neue Taktik: sich kleinmachen, die anderen aufblasen, damit sie sich sicher fühlen – und dann kommt Daum und schlägt zu.
Früher war das anders, als sie ihn noch Lautsprecher nannten. Früher hat er mal über den damaligen Bayern-Trainer gesagt: „Jede Wetterkarte ist interessanter als ein Satz von Jupp Heynckes“, aber das hat auch nichts geholfen. Deswegen hat er seine Taktik geändert, er arbeitet ja mit Rainer Goertz zusammen, der sich auskennt im Innersten der Menschen. Goertz ist Psychologe. Daum sagt aber lieber „Mentaltrainer“, weil Psychologe so nach Krankheit und Hilfsbedürftigkeit klingt. Gemeinsam haben sie gegrübelt, und dann hat Daum die Bayern großgeredet vor dem Spiel der Spiele. Sie sollten allen Druck für sich haben.
Aber dann kam es anders. Erstens hat Bayern-Manager Hoeneß zurückgeledert und die Vermutung geäußert, Daum habe wohl die Hilfe eines Mentaltrainers in Anspruch genommen. Hoeneß sagt aber lieber Psychologe. Zweitens haben die Bayern gerade in Manchester in der Champions League ein 1:1 geholt, in einem Spiel, das zu den spannendsten der letzten Monate gehört und, psychologisch betrachtet, ein Nebenprodukt abgeworfen hat: Was sollte ihnen im zweiten Spiel des Jahres schon passieren, werden sich die Bayern gedacht haben, wenn das erste schon so klasse gelaufen ist?
Drittens sind Daums Spieler so auf Daum fixiert, daß sie alles glauben, was er sagt. Und wenn er immer sagt: die Bayern sind besser, nehmen die Spieler den Satz im Kopf mit auf den Platz. Erik Meijer sagt: „Ich weiß nicht, was los war. Irgendwas war los.“ Hatte er Angst? „Ein Fußballer hat keine Angst, wovor auch: Die sind auch nur zu elft, und jeder hat nur einen Vater und eine Mutter.“
Irgendwie sind alle gleich. Aber dann kriegen die Leverkusener in den ersten zehn Minuten drei gelbe Karten und spielen, als hätten sie Angst unterm Hemd und quadratische Füße. Zé Roberto vielleicht ausgenommen. „Es ist doch jedesmal dasselbe, wir kommen her und spielen scheiße“, sagt Manager Calmund, der sich auf der Tribüne in einen roten Teppich eingewickelt hatte.
Den anderen rollten die Kicker den Bayern aus. Zack, zack: 1:0, Jancker auf Tarnat (20.); 2:0, Basler auf Elber (30.). Schon liegt Bayern drei Punkte vorn, und wenn sie morgen in Gladbach gewinnen, sind es sechs. Ottmar Hitzfeld – der den Namen von Daums Verein noch immer nicht richtig aussprechen kann: „Läwwerkusen“, sagt er, mit labberigem ä statt tapferem e –, Hitzfeld also lobte den zuvor gespielten langen Ball von Mario Basler, aber das konnte Christoph Daum nicht ertragen. Er gönnte seinen Gegnern nicht, ihre eigene Stärke zu genießen, er schob deren Erfolg auf die eigene Schwäche. „Wir waren vorher in Ballbesitz und haben uns den Ball anfängerhaft abnehmen lassen“, rief er und sah aus wie früher: blitzende Augen, zuckender Schnurrbart. Der Lautsprecher war wieder an.
Manchmal muß man sich selbst den Stecker rausziehen. „Ich sage überhaupt nichts mehr“, grummelte Daum, „ich lobe die Bayern nicht. Das wird doch eh wieder als Taktik ausgelegt.“ Dafür lobten ihn die Bayern, Klubsprecher Markus Hörwick zum Beispiel, der nach der Pressekonferenz frohe Weihnachten wünschte, weiterhin einen spannenden Zweikampf – was man so sagt, wenn man dem Verlierer noch eine mitgeben will. Und Daum schaute an die Decke und wird sich gedacht haben: „Jetzt hör schon auf. Es reicht.“
Es reichte nicht. Er mußte noch zu einem anderen Sender ins Studio, aber die junge Frau, die die Gesprächspartner verkabeln muß, rief: „Wo ist denn der Herr Daum?“, und steckte in aller Eile einem Korrespondenten vom kicker den Stöpsel ins Ohr, der die Verwechslung schnell aufklärte: „Der Herr Daum ist dahinten.“
Christoph Daum (45) sah dahinten wie ein trauriger Cowboy aus – ein Cowboy ohne Pferd. Er hatte sich eine Marlboro angezündet und tatsächlich noch ein Glas Wasser gekriegt. Im Fernsehen lief Sat.1, eine Talkshow zum Thema Fußball, den Titel blendeten sie dauernd ein: „Machtspiele und Eigentore“. Zum Glück hat Daum das nicht gesehen. Es gibt Tage, da bezieht man alles auf sich selbst.
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