: Vergebliche Suche nach der Erotik der Erkenntnis
■ Die deutsche Universität hat ihre libidinöse Qualität verloren. Ein Mannheimer Germanist will die akademische Gemeinde zu kollektivem Lustgewinn bekehren – bislang ohne Erfolg
Eine alte lateinische Weisheit besagt: Extra universitatem non est vita – außerhalb der Universität kein Leben. Mit diesem Spruch pflegten deutsche Professoren ihre Erstsemester im Auditorium zu begrüßen. Sie beschrieben den Frischlingen die tiefe Lust, die sie an der Erkenntnis der Wahrheit verspüren würden. Auch schwärmten sie von der Erotik, die die Alma mater – die lehrende Mutter – verspricht. Ja, der eine oder andere scheute sich auch nicht, sich selbst als Libidinisten zu bezeichnen.
Gut, das war vor 300 Jahren. Heute mag niemand mehr ernsthaft von der libidinösen Qualität einer deutschen Universität sprechen. Die arme Alma mater ist Stiefmutter geworden. Zunächst nur vernachlässigt, liebt sie heute keiner mehr. Die Professoren nicht, weil heute nicht mehr 20, sondern 400 Studenten im Hörsaal sitzen. Der Mittelbau nicht, weil er nach drei Jahren in die Arbeitslosigkeit entlassen wird. Die Studenten sowieso nicht, weil Wissen keine Kohle bringt. Und das Volk nicht, weil die Elfenbeintürme aus ihren hart erwirtschafteten Steuergeldern finanziert werden.
Der Mannheimer Germanist Jochen Hörisch, der 1990 die Humboldt Universität reformiert – pardon: transformiert – hat, will Libido an deutsche Universitäten zurückbringen. Deswegen geht er mit seinen Doktoranden gemeinsam brunchen. Das schafft Identität.
Der pfiffige Professor vergleicht den schweren Apparat Universität schon mal mit einem Baum, auf dessen Zweigen Uni-Professoren mit der Physiognomie von Affen sitzen, die in frisch-fröhlicher Runde fleißig onanieren, solange nur jeder auf dem ihm zubedachten Platz bleibt. Selbst solche noch recht harmlosen, ja friedfertigen Bemerkungen können die Horde schon mal kräftig durcheinanderwirbeln. Und der eine oder andere fällt runter: Hörisch wollte an die Hochglanzuniversität Erfurt. Doch trotz seiner Wortspitzfindigkeiten brachte es der gewitzte Professor im Berufungsverfahren nur auf Platz drei. Schade, denn damit hat Erfurt seine Chance auf einen Jünger Libidos wohl verpaßt.
Hörisch orientiert sich, was libidinöse Verhältnisse angeht, gerne an angloamerikanischen Hochschulen. Harvard zum Beispiel. Also denke man nur an die unzähligen, unglaublich knackig wirkenden, amerikanischen College-Old- Boys mit den niedlichen Baseballcaps. Oder an Alumni, die fünfzig Jahre nach ihrem Master sogar noch wissen, wieviel Touchdowns sie im Spiel gegen das Nachbarcollege errungen hatten. Welcher deutsche Student könnte hierzulande ein T-Shirt mit dem Namenszug seiner Universität tragen, ohne sich bei seinen Kommilitonen zu diskreditieren?
Die deutsche Universität ist eben nicht hip. Libidinös und zu etwas nutze ist die Alma mater allenfalls dann, wenn nicht studiert wird. Etwa beim Munterwerden zwischen den Seminaren, beim Kaffeetrinken in einer der verkommenen Mensacafeterien. Oder wenn es nach dreißig Jahren mal wieder Studentenproteste gibt und junge, Orientierung suchende Menschen einander näherkommen. Jetzt, wo unter neuen politischen Vorzeichen bahnbrechend neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, da müßten Alma maters erloschene Leidenschaften doch wiederzubeleben sein, oder? Jan Kricheldorf
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