: Viele Fehler, aber keine Verantwortung
Eine Kommission des französischen Parlaments hat einen Untersuchungsbericht zur kontroversen französischen Ruandapolitik vorgelegt. Er erhellt einige Kapitel, bleibt aber in seinen Schlußfolgerungen zahm ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Eine der erstaunlichsten Aussagen des Ruanda-Berichts der französischen Nationalversammlung findet sich gleich gegen Anfang, im Abschnitt „Lagebeurteilung durch die Vertreter Frankreichs vor Ort“. Da heißt es in einem internen Bericht des französischen Militärattachés in Ruanda, René Galinié, eine Machtergreifung der „Tutsi-Invasoren“ – gemeint ist die ruandische Tutsi- Bewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) – „würde aller Wahrscheinlichkeit nach die physische Auslöschung der 500.000 bis 700.000 Tutsi im Land durch die sieben Millionen Hutu bedeuten“. Diese Notiz, die den Völkermord an Ruandas Tutsi durch Hutu-Extremisten 1994 vorwegnimmt, stammt vom 24. Oktober 1990, volle dreieinhalb Jahre vorher.
Der am Dienstag nachmittag vorgelegte Bericht der „Sondermission“ der französischen Parlamentsausschüsse für Verteidigung und Außenpolitik über „die Militäroperationen Frankreichs, anderer Länder und der UNO in Ruanda zwischen 1990 und 1994“ ist das Ergebnis einer fünfmonatigen Untersuchung von März bis Juli 1998. Der Bericht strotzt nur so von bemerkenswerten Details, die eines der dunkelsten Kapitel der internationalen Politik der letzten Jahre erhellen. Aber die Details schweben frei.
Zwar werden heikle Fragen unverblümt angesprochen. Das Dilemma der französischen Ruandapolitik bis zum Völkermord 1994 bestand darin, daß Frankreich der Regierung des Hutu-Präsidenten Juvenal Habyarimana militärisch unter die Arme griff, als die RPF als Bewegung von Exil-Tutsi im Oktober 1990 von Uganda aus in Ruanda einmarschierte – und das Regime auch dann noch förderte, als dessen führende Vertreter sich schließlich der Tutsi durch Massenmord entledigen wollten. Dies, so der Bericht, „stimmte mit den allgemeinen Orientierungen des Präsidenten François Mitterrand nicht überein“.
Auf die Behauptung, Frankreichs damalige Militärhilfe für Ruanda sei zur Abwehr anglophoner Expansionsgelüste notwendig gewesen, antwortet der Bericht mit der Feststellung, daß „die französische Präsenz in der Region nie wirklich von den angelsächsischen Mächten in Frage gestellt wurde“. Frankreichs immer aktivere militärische Hilfe für Ruanda bis 1993 nennt der Bericht „Hilfe an eine objektiv geschlagene Armee, deren Generalstab nicht einmal mehr weiß, wo seine eigene Truppen sind, und an ein immer schwächer werdendes, häufiger kritisiertes und kritikwürdigeres Regime“.
Wie die Verantwortlichen dieses Regimes, das 1993 in einen Friedensschluß mit der RPF gezwungen wurde, auf die drohende Machtteilung mit den Tutsi 1994 schließlich nur noch mit Völkermord antworten konnten, ist selten so klar und logisch dargestellt worden wie in diesem Untersuchungsbericht. Weite Teile des Berichts bestehen überdies aus in dieser Genauigkeit bisher unbekannten Einzelheiten über Frankreichs Aktivitäten in Ruanda, die aufzeigen sollen, wie die Franzosen blindlings in eine nicht vorgesehene Rolle hineingerieten. Während die französische Diplomatie versucht habe, Frieden zu stiften, habe die Militärhilfe Ruandas Regierung geholfen, Krieg zu führen.
Doch dies dient manchmal allzu offen der These, daß Frankreichs Ruandapolitik eigentlich ein Versehen war. Sie wird weniger als Ergebnis bewußter Entscheidungen dargestellt, sondern als Kombination von Abstimmungsschwierigkeiten und Fehlplanungen. Eine direkte Verantwortung Frankreichs für den Völkermord wird daher zurückgewiesen. Aber der Bericht macht es sich zuweilen zu leicht bei der Darstellung einiger fataler Auswüchse.
Als zum Beispiel 1993 französische Soldaten Straßensperren am Rand der Hauptstadt Kigali bewachten, lautete ihr Einsatzbefehl „Verhinderung der Durchreise von RPF-Elementen“ mit dem Ziel der „Übergabe von Verdächtigen und beschlagnahmten Waffen und Dokumenten an die ruandische Gendarmerie“. Der Bericht schlußfolgert zu Recht: „Man sieht schlecht, wie eine solche Prodezur stattfinden kann, wenn es nicht vorher eine Personenkontrolle gegeben hat.“ Mit anderen Worten: Französische Soldaten haben wohl tatsächlich ruandische Personalausweise nach der Angabe „Hutu“ oder „Tutsi“ kontrolliert, also Selektion im Sinne der späteren Völkermörder unternommen. Aber es wird nicht explizit gesagt.
Einen ähnlich unbefriedigenden Gesamteindruck hinterläßt auch die Analyse der umstrittenen „Operation Turquoise“ – die französische Militärintervention im Südwesten Ruandas gegen Ende des Völkermordes von 1994. Der Bericht zeigt anhand amtlicher und teils vertraulicher Dokumente, daß neben dem offiziellen humanitären Ziel der Rettung von Menschenleben ein inoffizielles politisches Ziel bestand – nämlich die Reste der für den Völkermord verantwortlichen Hutu-Macht vor dem Zerfall zu bewahren, um dem vorhersehbaren Sieg der Tutsi-Rebellenbewegung RPF etwas entgegenzusetzen. So wird ein Einsatzbefehl der Franzosen über die „progressive Kontrolle der Ausdehnung des Hutu-Landes“ wiedergegeben. Der Bericht schlußfolgert: „Frankreich hat der Operation Turquoise sicherlich nicht ein ausschließlich humanitäres Ziel gesetzt.“ Aber welches dann?
Hier wie auch anderswo fehlt eine vollständige Darstellung der Prozedur, wer warum welche Entscheidungen traf. Französische Fehler in Ruanda werden benannt: „Eine zu engagierte militärische Zusammenarbeit“, „Unterschätzung des autoritären, ethnischen und rassistischen Charakters des ruandischen Regimes“, „institutionelle Funktionsfehler“. Aber wer hat diese Fehler gemacht? Gegen Ende des Berichts wird auf die beängstigende Vielfalt von Verantwortungsträgern verwiesen – und dann heißt es: „Die Mission hat sich nicht die erschöpfende und detaillierte Analyse dieser verschiedenen Koordinationsprozeduren vorgenommen. Sie hat sich darauf beschränkt, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu konstatieren.“
Am Schluß finden sich Vorschläge an die französische Politik. So sollten „Transparenz und Kohärenz unserer Mechanismen zur Bewältigung internationaler Krisen“ sowie „die parlamentarische Kontrolle über militärische Auslandseinsätze“ verbessert werden. Die Reform der französischen Afrikapolitik müsse „vertieft“ werden, Frankreich solle afrikanische Friedenstruppen fördern und die UNO sowie die internationale Strafgerichtsbarkeit stärken. Mehr als alles andere verdeutlicht die Bescheidenheit dieser Forderungen, daß die öffentliche Kontrolle der französischen Aktivitäten in Afrika noch am Anfang steht.
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