: Schwarzer Tag für Clintons Zukunft
Das US-Repräsentantenhaus stimmt heute über die Anklage gegen Präsident Bill Clinton ab. Das Ergebnis ist noch völlig offen, plötzlich diskutiert wieder alle Welt über das Amtsenthebungsverfahren ■ Aus Washington Peter Tautfest
Heute stimmt das US-amerikanische Repräsentantenhaus darüber ab, ob vor dem Senat Anklage gegen Bill Clinton erhoben und seine Entfernung aus dem Weißen Haus beantragt werden soll. Der Justizausschuß hat die Anklageschrift formuliert und glaubt, dem Präsidenten vier Verbrechen nachweisen zu können: Meineid in zwei Fällen, Obstruktion der Justiz und Mißbrauch seines Amts – alles, um seine Affäre mit Monica Lewinsky zu verbergen. Wenn eine einfache Mehrheit der 435 Abgeordneten zustimmt, wird der Fall Bill Clinton im Januar vor dem Senat verhandelt werden, dem allein Aburteilung und Amtsenthebung zustehen. Dafür braucht es dann allerdings eine Zweidrittelmehrheit, an die derzeit niemand glaubt.
Wie die Abstimmung heute ausgeht, ist offen. Erst sah es so aus, als würden genügend Republikaner ihrer eigenen Partei untreu werden, um die republikanische Mehrheit von elf Stimmen in eine Minderheit für das Impeachment zu verwandeln. Viele der unentschiedenen Republikaner aber haben sich in den letzten Tagen auf die Seite der Clinton-Gegner geschlagen.
Nach Meinungsumfragen sind noch immer zwei Drittel der US- Amerikaner gegen ein Amtsenthebungsverfahren. Die Los Angeles Times findet in einem Leitartikel, daß Abgeordnete, die derart gegen den erklärten Willen des Volkes verstoßen, das sie vertreten, eine größere Gefahr für die Verfassungswirklichkeit sind als ein meineidiger Präsident. „Hätte Jesus auf Meinungsumfragen gehört“, widerspricht Henry Hyde, der Vorsitzende des Rechtsausschusses, „hätte er das Evangelium nicht gepredigt.“
Sah es zunächst so aus, als sei die ganze Affäre im weit aufgerissenen Schlund eines kollektiven Gähnens verschwunden, ist eine mögliche Amtsenthebung zur Zeit allenthalben Stadtgespräch. In Kneipen, Frisörläden und an den Supermarktkassen wird – für die USA höchst ungewöhnlich – über Politik diskutiert. Die Intellektuellen, eine Klasse, die es als Meinungsmacher und Wortführer eigentlich gar nicht gibt, melden sich zu Wort. An der New Yorker University trafen sich Schriftsteller und Historiker wie Toni Morrison und Arthur Schlesinger zu einem Anti-Impeachment-Teach-in. Im Wall Street Journal kontert der Schriftsteller Mark Helprin: „Größe und Transzendenz ist es, was Menschen in die Politik gehen läßt – und letztlich sind es Ideale, die sie bewegen.“
In Washington meldet Clintons Pfarrer, der christliche Ethiker Pastor J. Philip Wogaman, gegen eine Amtsenthebung schwere Bedenken an: „Der Präsident hat schon genug für seine Sünden bezahlt“, und „seine sexuellen Sünden müssen im größeren Zusammenhang allgemeiner Permissivität im heutigen Amerika gesehen werden“.
In Seattle rief eine Bürgerinitiative dazu auf, Steine an die Abgeordneten zu schicken, die den ersten Stein werfen wollen. In Washington tritt eine Frauenkoalition gegen das Impeachment an. Das Telefonsystem des Capitols brach zusammen. Sogar Clintons ehemaliger Wahlkampfgegner Bob Dole sprach sich für eine Abmahnung und eine Zwei-Millionen-Dollar- Geldstrafe statt eines Impeachments aus.
Die Abgeordneten aber haben vor der nächsten Wahl noch die nächste Vorwahl zu überstehen, und die wird von den Getreuen der Partei entschieden. Sie sitzen also zwischen Baum und Borke: Entweder sie verärgern ihre eigene, meist rechte Parteibasis oder ihre meist viel liberaleren Wähler.
Die republikanische Fraktionsführung nutzt dieses Dilemma aus. Sie will vor allem Fraktionsdisziplin durchsetzen, denn im nächsten Kongreß haben die Republikaner nur noch eine Mehrheit von sechs Stimmen. Sie riskieren, dabei alle Brücken zu den Demokraten abzubrechen, mit denen sie bei solchen Mehrheitsverhältnissen zusammenarbeiten müssen. Ganz offen spekulieren viele darauf, daß das Impeachmentverfahren im Senat zum Stillstand kommt.
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