: Kein Haus aus den Rippen schneiden
Der Stiftungsrat der Staatlichen Museen will erst 1999 über ein Fotomuseum entscheiden ■ Von Katrin Bettina Müller
Aus dem Kunsthandel ist die Fotografie heute so wenig wegzudenken wie aus Ausstellungen in Kunstvereinen und Galerien. Seit der Erfindung der Fotografie vor über 150 Jahren schielt die bildende Kunst eifersüchtig auf ihre bildproduzierende Schwester. In ihrem kommerziellen Erfolg hat sie Skulptur und Malerei ebenso weit überholt wie an Popularität in den Schatten gestellt. In New York, Paris, Tokio oder zur Fotokina in Köln tragen prominente Museen und Foto- Biennalen dieser Entwicklung Rechnung.
In Berlin beklagen dagegen sowohl Fotohistoriker wie die Kunstszene seit langem eine mangelnde Pflege der Fotografie seitens der Museen. Zwar verfügen die Berlinische Galerie, das Bauhaus-Archiv, die Kunstbibliothek und weitere Häuser über fotografische Sammlungen, die sich aber nur Teilaspekten des Themas widmen.
Deshalb ist die Gründung eines Zentrums für Fotografie, die auf der gestrigen Sitzung des Stiftungsrates der Staatlichen Museen zu Berlin auf der Tagesordnung stand, ein altes Desiderat, nicht nur von der Seite des Generaldirektors Wolf-Dieter Dube, der auf einer Direktorenkonferenz im Juni das Projekt vorstellte. Auch der Kulturbeauftrage Michael Naumann, der dem Stiftungsrat vorsitzt, sprach sich für ein Fotografie-Museum aus. Grünes Licht hatte Dubes Plan vor drei Wochen auch schon vom Senat von Berlin erhalten, der nicht zuletzt froh über die museale Aufwertung des Museumsstandorts Charlottenburg ist. Denn in den dortigen östlichen Stülerbau soll das fotografische Zentrum ziehen und deshalb der Umzug der ägytischen Sammlung auf die Museumsinsel vorgezogen werden. Der Senat, in dessen Eigentum sich das Gebäude befindet, sagte auch Unterstützung für den mit 30 Millionen Mark veranschlagten Umbau zu.
Doch eine endgültige Entscheidung steht weiterhin aus: Der Stiftungsrat befürwortete zwar das Vorhaben, schlug jedoch die Berufung einer externen Expertenkommission vor, die bis zur nächsten Sitzung im Sommer 1999 einen Bericht vorlegen soll. Damit erteilt sie dem Vorgehen Dubes eine Absage, der das Projekt bisher hinter verschlossenen Türen durchzog.
Tatsächlich ließen die mageren Informationen, die man bisher über den Plan erhalten konnte, eher Unbehagen am Verfahren aufkommen. Die wenigen inhaltlichen Eckpunkte scheinen mehr aus bisherigen Defiziten geboren, statt auf einer Auseinandersetzung mit den vielfältigen Ansprüchen an die Fotografie zu beruhen.
Als Fundus, von dem aus man ein Konzept entwickeln kann, betrachtet Dube, die fotografischen Archive der Museen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. So verfügt die Kunstbibliothek über 60.000 Fotos, ursprünglich gesammelt in den Abteilungen Mode oder Architektur. Dieses Archiv nach den veränderten Kriterien des heutigen Interesses an der alten Fotografie durchzuforsten, war ein Wunsch des Direktors Bernd Evers, der lange auf eine Stelle für die Bearbeitung des Bildarchivs warten mußte. Ausstellungen zur Tanzfotografie und zu dem Pariser Stadtfotografen Eugène Atget waren Ergebnis der Recherche. Solche Projekte allerdings erfuhren bisher wenig Unterstützung seitens der Generaldirektion und ließen sich teilweise nur mit Sponsorenmittel realisieren.
Ein anderer Baustein des neuen Zentrums sollen die Bestände des Museums für Völkerkunde sein. Auch dort fehlte bisher eine Stelle, das ethnologische Quellenmaterial unter ästhetischen Gesichtspunkten neu zu durchforsten. Vor allem aber mangelte es an Konservierungs- und Restaurationsmöglichkeiten für die empfindlichen alten Negative und Glasplatten. Schon deshalb freut Direktor Klaus Helfrich das Vorhaben, in Charlottenburg mit einem großen Kühlmagazin und Restaurationswerkstätten die lange fällige Pflege angehen zu können, auch wenn er weiß, daß sich die Museen das Personal für das neue Haus „aus den Rippen schneiden müssen“, denn neue Stellen gibt es nicht.
Der Umfang der fotografischen Bestände der Museen wird mit 10 bis 12 Millionen angegeben; vieles sind Reproduktionen, die für Kataloge, den Leihverkehr und die Dokumentation von Installationen entstanden. Zwischen dieser fotohistorisch interessanten Fundgrube und dem Stellenwert der Fotografie in der zeitgenössischen Kunst klafft aber eine weite Lücke, über die bisher nicht diskutiert wurde. Allein von Helmut Newton, dessen Heroinen zur Zeit auf Plakatwänden und Strumpfhosen- Verpackungen ihr Schwert schwingen, ist bisher die Rede, da mit ihm über seinen Nachlaß verhandelt wird. Sein Name soll als Magnet für weitere Sammler dienen.
Das Tempo, mit dem Dube sich jetzt für das Museum für Fotografie einsetzte, stand auch im krassem Mißverhältnis zu den Erfahrungen einzelner Kuratoren, die sich an den Museen um aktuelle fotografische Positionen in der Kunst bemühten. Teilweise wurden große Chancen verpaßt, wie Anfang der neunziger Jahre, als Bernd und Hilla Becher Interesse zeigten, ihr Archiv nach Berlin zu geben. Bisher fanden zu dem neuen Projekt auch keine Gespräche mit den Kuratoren bestehender fotografischer Sammlungen in Berlin statt, wie Janos Frecot von der Berlinischen Galerie mitteilte.
Ob die Fotografie im Alltag oder ihre Funktion in den Massenmedien im neuen Zentrum eine Rolle spielen wird, ist noch ebenso offen wie Fragen der angrenzenden Medien Film und Video- kunst. Das Ausfeilen des Konzepts wollte der Generaldirektor dem Gründungsdirektor des neuen Hauses überlassen und so über die Personalpolitik das inhaltliche Konzept entscheiden. Daß diese Aufgabe jetzt nach dem Willen des Stiftungsrates eine Expertenkommission übernehmen soll, spricht für Verantwortungsbewußtsein und das Vorhaben des neugewählten Stiftungspräsidenten Klaus- Dieter Lehmann, Strukturentscheidungen mehr Transparenz zu verleihen.
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