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Lügendetektor-Tests ohne Beweiswert

In einer Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof den Einsatz von Polygraphen-Gutachten im Strafprozeß abgelehnt. Damit ist auch ihre Anwendung vor Familiengerichten blockiert  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Lügendetektoren bleiben eine exotische Besonderheit amerikanischer Kriminalfilme, in deutschen Gerichtssälen haben sie nichts zu suchen. Dies entschied gestern der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, das oberste deutsche Strafgericht. In dieser mit Spannung erwarteten Grundsatzentscheidung bestätigte der BGH seine ablehnende Haltung aus dem Jahr 1954 – allerdings mit neuer Begründung. „Polygraphentests haben keinerlei Beweiswert“, hieß es jetzt in Karlsruhe.

Seit über 40 Jahren ist der Lügendetektor, oft auch Polygraph (Mehrkanalschreiber) genannt, im deutschen Strafprozeß verboten. Der BGH hatte 1954 entschieden, daß solche Tests gegen die Menschenwürde verstoßen, weil hier der Angeklagte zum Anhängsel einer Maschine gemacht werde. Bei den Tests wird anhand von Blutdruck, Atmung und Schweißproduktion die Erregung bei der Beantwortung von Fragen gemessen.

In den letzten Jahren war diese Begründung aber immer mehr unter Beschuß geraten. „Wie kann ich einem Angeklagten unter Berufung auf die Menschenwürde das letzte Beweismittel vorenthalten?“ fragten sich viele Strafverteidiger. Gerade in Prozessen um sexuellen Mißbrauch von Kindern steht oft Aussage gegen Aussage. Doch während die Glaubwürdigkeit von Kindern durch psychologische Gutachten untermauert wird, wurden die von Angeklagten vorgelegten positiven Polygraphentests regelmäßig abgelehnt. Auch in den zwei jetzt vom BGH zu entscheidenden Fällen ging es um Kindesmißbrauch. „Dieser Einwand hat Gewicht“, erklärte gestern der Senatsvorsitzende Gerhard Schäfer, „wir halten daher unsere verfassungsrechtlichen Bedenken nicht aufrecht.“ Schließlich gebe die Untersuchung „keinen Einblick in die Seele des Angeklagten“. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde sei daher nicht zu befürchten, erklärte Schäfer.

Auch das Täuschungsverbot der Strafprozeßordnung stehe den Lügentests nicht entgegen, so der Senat. „Im Rahmen des Tests ist eine geringfügige Irreführung über die Bedeutung einzelner Fragen durchaus zulässig“, sagte Schäfer zur Begründung.

Dennoch hatten die beiden Anwälte Thomas Scherer (Osthofen) und Leopold Günther (Lindenberg) vor dem BGH mit ihrer Revision keinen Erfolg. Denn der BGH hält die zum Beweis angebotenen Tests für schlichtweg unbrauchbar. „Dem Ergebnis eines Polygraphentests kommt nicht einmal minimale Indizwirkung zu“, erklärte Richter Schäfer. Der BGH folgte damit ganz der Linie des Heidelberger Psychologieprofessors Klaus Fiedler, einem harten Kritiker des Lügendetektors.

Auf Skepsis stieß vor allem die Annahme, daß der Täter auf Fragen zur Tat erregter reagieren wird als auf Kontrollfragen zu seiner allgemeinen Glaubwürdigkeit – während dies beim Unschuldigen genau umgekehrt sei. „Diese Annahme verkennt“, so der Senat, „daß ein strafrechtlicher Verdacht auch den Unschuldigen in seiner Existenz bedroht.“ Es bestehe also die Gefahr, daß Unschuldige zu Unrecht belastet würden.

Auch ein weiterer Vorwurf von Fiedler wurde aufgegriffen. So sei die Auswahl der individuellen Kontrollfragen letztlich für das verantwortliche Gericht nicht nachvollziehbar, weil sich ein Polygraphieexperte hier ganz auf seine „Intuition“ verlasse. Angaben zur Treffsicherheit der Tests (Befürworter sprechen von rund 90 Prozent) seien „statistisch wertlos“.

Selbst den in der Wissenschaft unumstrittenen Tatwissenstest verwarf der BGH in Bausch und Bogen. Hier werden die Testpersonen nach Details über den Tatablauf gefragt, wobei verschiedene Antworten angeboten werden. Angenommen wird, daß der Täter bei Nennung der richtigen Antwort mit Erregung reagiert. „Dieser Test ist vor Gericht nicht anwendbar, weil zu diesem Zeitpunkt schon zu viele Informationen über die Tat öffentlich wurden“, sagte Gerhard Schäfer.

Möglich ist damit allerdings, daß die Tatwissen-Methode künftig im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens eingesetzt wird. Denn die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Polygraphie sind nun ausgeräumt.

Blockiert ist dagegen die in letzter Zeit häufige Anwendung von Lügendetektoren vor den Familiengerichten. Meist ging es in solchen Verfahren um Väter, die einen Mißbrauchsverdacht ihrer Ex- Partnerin ausräumen wollen, um die gemeinsamen Kinder weiter sehen zu können. „Der Beweiswert des Polygraphen ist auch im Zivilprozeß nicht anders zu bewerten“, erklärte Schäfer auf Nachfrage der taz.

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