: Marzipan muß sich entspannen
Champagnerpralinen oder Sahnetrüffel: 200 verschiedene Confiserie-Spezialitäten stellt die Firma Walter her. Doch das Pralinenmacherdasein hat nicht nur süße Seiten ■ Von Iris Krumrei
Es hängt ein Geruch in der Luft, der keine Speicheldrüse trocken läßt. Verführerisch süß und fast schon sündig schwer schwebt der Duft schokoladiger Köstlichkeiten in der kleinen Tempelhofer Produktionshalle. In dem flachen Ziegelbau entstehen zur Weihnachtszeit bis zu 300 Kilogramm Pralinen pro Tag. „Alle mit Liebe gemacht“, versichert der 55jährige Konditormeister Peter Sikora. Er hat den 1915 gegründeten Handwerksbetrieb „Walter Confiserie- Spezialitäten“ im Jahr 1977 von der Gründerfamilie Walter übernommen.
Im langgestreckten, hellgrün gefliesten Produktionsraum harren nackte Vanille-Sahne-Pralinen und Ananas-Marzipanbrote ihres schokoladigen Überzugs. In Reih und Glied lagern die Kalorienbomben auf Blechen. Es klingt wie der Alptraum eines jeden Ernährungsberaters: Pro Jahr werden 20 Tonnen Kouvertüre, 15 Tonnen Marzipan und zehn Tonnen Nougat bei Schokoladen-Walter verarbeitet.
Nachdem die computergesteuerte Spritzmaschine die Pralinenmasse portioniert hat, wandern die leckeren Kleckse auf einem langen Fließband durch zwei Maschinen, die ihnen den Schokomantel verpassen. Anschließend werden sie garniert und abgekühlt. Der Großteil der Produktionsanlage wirkt ein wenig klobig und altertümlich. Der Chef schätzt die alten Stücke jedoch. „Die robusten Maschinen gehen kaum kaputt.“ Überall in der Halle stapeln sich Kisten mit befremdlichen Aufschriften wie „Entenköpfe mit rot-grünem Hut“ oder „Maikäferbeine“. Unverzichtbare Accessoires für die jährliche Osterproduktion.
Auch fünf Läden gehören heute zu dem handwerklichen Betrieb mit zwei Millionen Mark Jahresumsatz. Insgesamt 23 Mitarbeiter sind in den Bereichen Produktion, Verpackung und Verkauf beschäftigt. Außer in den eigenen Geschäften gehen die Walter-Produkte im gesamten Berliner Süßwareneinzelhandel sowie in einigen Kaufhäusern über die Theken. Der Renner unter den rund 200 verschiedenen Leckereien sind weiße Champagner-Sahne-Pralinen.
Am aufwendigsten in der Herstellung sind die Meraner Nüsse, da sie per Hand glasiert werden. Die Marzipanpralinen werden mit Walnüssen verziert und Stück für Stück auf ein Nagelbrett gespießt. Ein klebriger Karamelzuckerüberzug vollendet die Spezialität. Überstürzt werden darf bei der Produktion von Luxussüßigkeiten nichts. „Marzipanbrote müssen einen Tag lang ruhen und sich entspannen, bevor sie überzogen werden. Sonst platzen sie“, sagt Peter Sikora.
Der 31jährige Carsten Sikora, wie sein Vater Konditormeister, dekoriert konzentriert, aber gelassen mehrere hundert Bitter-Sahne-Trüffel. Ab und zu probiert er schon mal. Den Angestellten des Betriebs ist es ausdrücklich gestattet, unbegrenzt zu naschen. Und noch immer schmeckt es allen. „Ich bin um eine Konfektionsgröße stärker geworden“, gibt die 55jährige Mitarbeiterin Hannelore Jünger zu. Peter Sikora und seine Frau Evelin, die im Büro der Firma arbeitet, hoffen, daß Sohn Carsten eines Tages den Familienbetrieb übernehmen wird.
Doch die Pralinenherstellung in Berlin hat nicht nur Schokoladenseiten. Seit der Wende ging der Umsatz zurück und stagniert derzeit, mehrere Mitarbeiter mußten entlassen werden. Immer schwieriger wird es, sich auf dem umkämpften Süßwarenmarkt zu behaupten. Die Sikoras versuchen trotzdem, optimistisch in die Zukunft zu blicken. „Unsere hochwertige Ware wird weiter gekauft“, sagt Evelin Sikora, „wir haben eine große Stammkundschaft, auch wenn die Kaufkraft nachgelassen hat.“
Besondere Angebote sind hölzerne Geschenkkistchen mit Berlin-Motiven und massive Schokoladenbäumchen. Um für Frische garantieren zu können, wird das Schleckerzeug erst produziert, wenn eine Bestellung eingegangen ist. Auf Farb- und Konservierungsstoffe wird ausdrücklich verzichtet. Nur ein einziges Mal kreierte die Firma knallbunte Pralinen in Grün, Rot und Orange. Die Schauspielerin Evelyn Hamann verzehrt sie im Loriot-Film „Pappa ante Portas“. Ganze zwei Szenen der Komödie wurden 1990 im Walter- Betrieb gedreht.
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